Palbociclib

Palbociclib (Ibrance®) eignet sich zur Behandlung von fortgeschrittenen Mammakarzinomen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Das Medikament ist in der Schweiz aktuell nur zur Therapie in Kombination mit Fulvestrant (Faslodex®) zugelassen.

Chemie/Pharmakologie

Der Zellzyklus (zwischen zwei Zellteilungen) wird in der G1/S-Phase von zyklin-abhängigen Kinasen («cyclin-dependent kinases», CDK4 und 6) gesteuert. Dieser Vorgang ist bei gewissen Tumorzellen abnorm aktiviert; dies ist auch bei Östrogenrezeptor-positiven Mammakarzinomen der Fall. Palbociclib, ein Pyridopyrimidin-Derivat, ist der erste CDK-Hemmer, der zur Behandlung zugelassen wurde. Der Wirkstoff stoppt den Zellzyklus und hemmt so das Tumorwachstum.

Pharmakokinetik

6 bis 12 Stunden nach oraler Einnahme von Palbociclib werden maximale Plasmaspiegel erreicht. Die durchschnittliche Bioverfügbarkeit soll etwa 46% betragen. Bei einem Teil der untersuchten Personen ergaben sich jedoch deutlich geringere Plasmaspiegel, wenn sie das Medikament auf nüchternen Magen einnahmen. Es wird deshalb empfohlen, Palbociclib mit dem Essen zu nehmen. Der Wirkstoff wird offenbar überwiegend via CYP3A und die Sulfotransferase SULT2A1 metabolisiert. Es entstehen zahlreiche Metaboliten, von denen mindestens einer pharmakologisch aktiv ist. Die Ausscheidung erfolgt zu rund 75% mit dem Stuhl (grösstenteils in Form von Metaboliten). Die mittlere Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 29 Stunden; wenn Palbociclib täglich gegeben wird, ist nach rund 8 Tagen ein Fliessgleichgewicht erreicht.(1)

Klinische Studien

Bei metastasierten Mammakarzinomen, die Östrogenrezeptoren («estrogen receptors», ER), aber keine Rezeptoren für den humanen epidermalen Wachstumsfaktor 2 («human epidermal growth factor receptor 2», HER2) aufweisen – also ER-positiv und HER2-negativ sind – wird in der Regel eine endokrine Behandlung (meistens mit einem Aromatasehemmer) empfohlen.(2) Die bisher mit Palbociclib durchgeführten Studien suchen den Stellenwert des neuen Medikamentes in diesem Kontext zu definieren.

In einer offenen randomisierten Studie (PALOMA-1/TRIO-18) wurden insgesamt 165 Frauen mit täglich 2,5 mg Letrozol (Femara® u.a.) allein oder in Kombination mit Palbociclib (täglich 125 mg, jeweils für 3 von 4 Wochen pro Behandlungszyklus) behandelt. Beteiligt waren Frauen nach der Menopause, die einen fortgeschrittenen ER-positiven und HER2-negativen Brustkrebs hatten. Der primäre Endpunkt, beurteilt nach einer medianen Dauer von rund 28 Monaten, entsprach dem «progressionsfreien Überleben» (progression-free survival, PFS). Frauen, die mit der Letrozol-Palbociclib-Kombination behandelt wurden, hatten ein signifikant längeres PFS (median 20 Monate) als diejenigen, die nur Letrozol erhielten (10 Monate).(3) Bezüglich des Gesamt-Überlebens ergab sich jedoch nach mehreren Jahren Beobachtung (bis Dezember 2016) nur ein geringer (nicht-signifikanter) Unterschied zwischen den beiden Gruppen (medianes Überleben von 37,5 bzw. 34,5 Monaten).(4)

Diese Resultate wurden in einer grösseren Doppelblindstudie (PALOMA-2) überprüft. Von 666 Frauen, ebenfalls alle nach der Menopause, wurden 444 mit Letrozol + Palbociclib und 222 mit Letrozol + Placebo behandelt. Die Teilnehmerinnen hatten einen fortgeschrittenen ER-positiven und HER2-negativen Brustkrebs, der im fortgeschittenen Stadium noch nicht behandelt worden war. Unter der Letrozol-Palbociclib-Kombination fand sich ein medianes PFS von knapp 25 Monaten; unter Letrozol allein war diese Zeitspanne signifikant kürzer (14½ Monate).(5) Daten zum Gesamt-Überleben liegen noch nicht vor.

In einer anderen Doppelblindstudie (PALOMA-3) wurde die Kombination von Palbociclib mit Fulvestrant geprüft. An dieser Studie nahmen Frauen mit einem ER-positiven und HER2-negativen Brustkrebs teil, bei denen es unter endokriner Therapie zu einem Rückfall oder einem Fortschreiten der Krankheit gekommen war. Patientinnen vor oder nach der Menopause wurden aufgenommen. 347 wurden mit Fulvestrant (500 mg intramuskulär, initial 3mal im Abstand von 2 Wochen, nachher alle 4 Wochen) und Palbociclib (täglich 125 mg für 3 von 4 Wochen Behandlungszyklus) behandelt; 174 erhielten nur Fulvestrant (dieselbe Dosis, in Kombination mit Palbociclib-Placebos). Das PFS unter der «aktiven» Kombination betrug 9,5 Monate, unter Fulvestrant allein 4,6 Monate.(6) Ob das Gesamt-Überleben beeinflusst wurde, ist noch nicht bekannt. Resultate zu Subgruppen dieser Studie wurden separat veröffentlicht; insbesondere für Frauen vor der Menopause – die zusätzlich Goserelin (Zoladex®) erhielten – ergaben sich bezüglich PFS ähnlich günstige Ergebnisse.(7)

Unerwünschte Wirkungen

Während Letrozol oder Fulvestrant allein praktisch keine myelotoxischen Wirkungen zeigten, waren in den Gruppen, die auch Palbociclib erhielten, gefährliche bis lebensbedrohliche Neutropenien sehr häufig (bei 55 bis 65% der Behandelten), ebenso Leukopenien (bei etwa 25%). Auch schwere Anämien wurden bei 3 bis 6% der kombiniert Behandelten beobachtet. Ganz abgesetzt wurde die Behandlung in den beiden Studien mit Letrozol von 10 bis 13% der Frauen unter Palbociclib/Letrozol, viel häufiger als unter Letrozol allein. In PALOMA-3 war ein Behandlungsabbruch allgemein seltener. Als weitere (unter der Kombination mit Palbociclib gehäufte) unerwünschte Wirkungen wurden insbesondere beobachtet: verschiedene, teilweise bedrohliche Infektionen, Müdigkeit, Übelkeit, Anämie geringeren Ausmasses, Thrombozytopenie, Alopezie, Inappetenz, Stomatitis. Zwei Fälle von wahrscheinlich Palbociclic-bedingter Hepatotoxizität mit Pseudozirrhose und letalem Leberversagen wurden beschrieben.(8)

Interaktionen

Starke CYP3A4-Hemmer wie Clarithromycin (Klacid® u.a.), Itraconazol (Sporanox® u.a.) und andere Azole sowie mehrere HIV-Medikamente (z.B. Lopinavir in Kaletra®) und Grapefruitsaft können zu einem starken Anstieg der Palbociclib-Plasmaspiegel führen; die gleichzeitige Verabreichung sollte vermieden werden. Gleiches gilt auch für starke CYP3A4-Induktoren, die eine bedeutsame Reduktion der Plasmaspiegel herbeiführen; Beispiele sind Carbamazepin (Tegretol® u.a.), Rifampicin (Rimactan® u.a.) und Johanniskraut. Palbociclib selbst ist ein schwacher CYP3A4-Hemmer und kann allenfalls zu erhöhten Plasmaspiegeln von Midazolam (Dormicum® u.a.) führen, scheint jedoch keine anderen klinisch relevanten Interaktionen zu verursachen. Wird Palbociclib ausserhalb der Mahlzeiten genommen, so kann Rabeprazol (Pariet® u.a.) die Palbociclib-Plasmaspiegel reduzieren. Wird das Medikament – wie empfohlen – mit einer Mahlzeit eingenommen, so sind offenbar keine relevanten Interaktionen mit Protonenpumpenhemmern zu befürchten.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Palbociclib (Ibrance®) soll gemäss der schweizerischen Zulassung jeweils während 3 von 4 Wochen in einer Dosis von 125 mg täglich eingenommen und obligat mit Fulvestrant (Faslodex®) kombiniert werden. Fulvestrant (500 mg i.m.) muss initial dreimal im Abstand von je zwei Wochen, anschliessend einmal monatlich injiziert werden. Die Zulassung beschränkt sich auf Frauen vor oder nach der Menopause mit einem ER-positiven und HER2-negativen Mammakarzinom, das trotz endokriner Therapie lokal fortgeschritten oder metastasiert ist. Frauen vor der Menopause erhalten ausserdem einen GnRH-Agonisten (z.B. Goserelin). Wie bei anderen myelotoxischen Onkologika soll die Verabreichung in Abhängigkeit von den hämatologischen Befunden unterbrochen und/oder in der Dosis reduziert werden. Während einer Behandlung mit Palbociclib sollte eine Schwangerschaft vermieden werden; schwangere und stillende Frauen sollen kein Palbociclib einnehmen. Das Medikament ist in der Schweiz limitiert kassenzulässig. Die zusätzliche Behandlung mit Palbociclib verursacht Kosten von fast 4150 Franken auf vier Wochen; Fulvestrant kostet 412 Franken monatlich. Die Medikamentenkosten der kombinierten Behandlung betragen somit knapp 59'000 Franken pro Jahr.

Kommentar

Seit sich die Pharmaindustrie dem Weg des grösstmöglichen Profits verschrieben hat, sind schwierige ethische Fragen unvermeidlich geworden: Wieviel darf ein menschliches Lebensjahr in Franken und Rappen kosten? Und wieviel darf es kosten, wenn es sich gar nicht um eine Lebensverlängerung, sondern nur um eine verlängerte Zeit des (relativen) «Wohlbefindens» handelt? Und schliesslich: Wie kann dieses Wohlbefinden aus den (beschränkten) Daten zum «progression-free survival» und den individuell zweifellos unterschiedlich gewerteten Nebenwirkungen der Therapie herausdestilliert werden? Fragen dieser Art führen – in Abhängigkeit von der jeweiligen Interessenlage – unweigerlich zu sehr unterschiedlichen Antworten. Im Fall von Palbociclib hat dies z.B. zu klar entgegengesetzten Stellungnahmen des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)(9) und der zuständigen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (10) geführt.

Grundsätzlich kann ja kein Zweifel bestehen, dass eine längere Zeit des progressionsfreien Überlebens für alle Krebskranken sehr wertvoll ist, sofern diese Zeit nicht durch die Toxizität der eingesetzten Therapie «vergiftet» wird. Anderseits kann nicht übersehen werden, dass der Einsatz einer teuren Behandlung bei relativ häufigen Tumoren eine grosse Belastung der gesellschaftlichen Solidarität darstellt. Lösungsansätze für diese Problematik dürften sich erst finden lassen, wenn die Industrie ihre Verantwortung innerhalb der Gesellschaft tatsächlich wahrnimmt.

Standpunkte und Meinungen

  • Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Palbociclib (25. September 2017)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 39/No. 5
PK1023
Untertitel
Verwandte Artikel
Login

Gratisbuch bei einem Neuabo!

Abonnieren Sie jetzt die pharma-kritik und erhalten Sie das Buch «100 wichtige Medikamente» gratis. Im ersten Jahr kostet das Abo nur CHF 70.-.

pharma-kritik abonnieren
Aktueller pharma-kritik-Jahrgang

Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?

Schauen Sie ein Probekapitel unseres Medikamentenführers an. Die Medikamente in unserem Führer wurden sorgfältig ausgesucht und konzentrieren sich auf die geläufigsten Probleme in der Allgemeinmedizin. Die Beschränkung auf 100 Medikamente beruht auf der Überzeugung, dass sich rund 90% aller allgemeinmedizinischen Probleme mit 100 Medikamenten behandeln lassen.

Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.
Passwort beantragen infomed mailings

Palbociclib