Ivermectin-Crème

Ivermectin-Crème (Soolantra®) wird bei papulopustulöser Rosazea empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Ivermectin gehört zur Gruppe der Avermectine, die als Fermentationsprodukte von Streptomyces avermitilis gewonnen werden, und enthält – im Verhältnis von ungefähr 9 zu 1 – die beiden Derivate Dihydroavermectin-B1a und -B1b. Ivermectin ist seit vierzig Jahren als ein auch oral verabreichbares Mittel gegen Parasiten bekannt und wird bei Befall mit gewissen Nematoden und Ektoparasiten verwendet. Es hemmt Ionenkanäle, die über Glutamat und GABA gesteuert werden, und führt bei wirbellosen Tieren zu einer Muskellähmung. Bei Wirbeltieren, bei denen diese Ionenkanäle nur im ZNS vorkommen, hat Ivermectin keine neurotoxischen Wirkungen, weil es – als Substrat des Transportproteins P-Glykoprotein – nicht durch die Blut-Hirn-Schranke tritt.(1,2)

Die Wirkung von Ivermectin bei Rosazea ist nicht eindeutig geklärt. Man nimmt an, dass es einerseits die Demodex-Milben abtötet, die bei der Pathogenese der Rosazea wahrscheinlich eine Rolle spielen, und andererseits direkte entzündungshemmende Wirkungen entfaltet.

Eine Übersicht zu den verschiedenen anderen Möglichkeiten der Behandlung einer Rosazea vermittelt eine 2016 veröffentlichte pharma-kritik-Nummer.(3)

Pharmakokinetik

Nach einer Anwendung auf der Haut gelangen etwa 8% der Dosis in den systemischen Kreislauf. Der maximale Plasmaspiegel wird nach durchschnittlich 10 Stunden gemessen. Das resorbierte Ivermectin wird grösserenteils unverändert über den Stuhl ausgeschieden, der Rest durch Zytochrome (vor allem CYP3A4) umgewandelt. Bei kutaner Applikation wird die Halbwertszeit durch die Geschwindigkeit der Resorption bestimmt: sie beträgt 45 bis 97 Stunden, was deutlich länger ist als nach oraler Einnahme.(1)

Klinische Studien

Es sind drei Phase-III-Studien publiziert, in denen die Ivermectin-Crème bei der «klassischen» Rosazea getestet wurde, das heisst bei der papulopustulösen Manifestation, die gemäss heutiger Einteilung als eine von vier Rosazea-Unterformen definiert ist. Bei der Mehrheit der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer lag eine als mittelschwer eingestufte Rosazea vor. Die Ivermectin-Crème wurde jeweils einmal am Tag vor dem Schlafengehen aufgetragen.

In zwei identischen Studien, die 683 bzw. 688 Personen umfassten, wurde eine 12-wöchige doppelblinde Behandlung mit Ivermectin-Crème oder mit wirkstofffreier Crème (Vehikel) als Placebo durchgeführt. In der ersten Studie zählte man als Ausgangswert im Durchschnitt 31 entzündliche Hautläsionen pro Person; mit der Ivermectin-Crème wurde diese Zahl auf 10 und mit Placebo auf 18 reduziert; in der zweiten Studie lagen der Ausgangswert bei 33 und die Schlusswerte bei 11 bzw. 20. Der Prozentsatz der Personen, bei denen die Behandlung von den Untersuchungspersonen als erfolgreich bewertet wurde, da nur noch vereinzelte Papeln und Pusteln oder minimale Hautrötungen zu verzeichnen waren, betrug in der ersten Studie mit Ivermectin 38% und mit Placebo 12%, in der zweiten Studie 40% und 19%.(4)

Beide Studien wurden während 40 Wochen einfachblind weitergeführt, indem man in der Placebogruppe auf eine aktive Behandlung mit 15%igem Azelainsäure-Gel (Skinoren®, 2-mal/Tag) wechselte. In der ersten Studie wurde die Behandlung in der Ivermectin-Gruppe (52-wöchige Behandlung mit Ivermectin) bei 71% als erfolgreich eingeschätzt, in der Placebo-/Azelainsäure-Gruppe (12-wöchige Behandlung mit Placebo, 40-wöchige mit Azelainsäure) bei 59%; in der zweiten Studie waren es 76% und 58%.(5)

962 Personen behandelte man über 16 Wochen einfachblind mit Ivermectin-Crème oder mit 0,75%iger Metronidazol-Crème (Nidazea®, Rozex®; 2-mal/Tag). Die Zahl der Papeln und Pusteln (zu Studienbeginn im Durchschnitt 33 pro Person) liess sich mit Ivermectin um durchschnittlich 83% senken, mit Metronidazol um 74%. Als erfolgreich wurde die Thera­pie bei Ivermectin in 85% und bei Metronidazol in 75% der Fälle beurteilt.(6) Nach Abschluss der 16-wöchigen Behandlung wurde diese Studie – unter Beibehaltung des Einfachblind­protokolls – in einem zweiten Teil folgendermassen fortgesetzt: 757 Personen, bei denen die Behandlung mit Ivermectin oder mit Metronidazol zu einem positiven Ergebnis geführt hatte, hielt man während zusätzlichen 36 Wochen unter Beobachtung; wenn ein Rückfall eintrat, wurden sie erneut mit dem ursprünglichen Medikament behandelt. In dieser Frist trat bei Ivermectin in 63% der Fälle ein Rückfall auf, wobei im Median 115 Tage bis zum ersten Rückfall verstrichen; bei Metronidazol waren es 68% bzw. 85 Tage.(7)

Bei leichtgradiger Rosazea ist Ivermectin bisher nicht geprüft worden.

Unerwünschte Wirkungen

Als Nebenwirkungen der Ivermectin-Crème können lokale Hautreaktionen oder -irritationen auftreten, die sich als Brennen, Jucken oder Hauttrockenheit äussern – wobei sowohl der Wirkstoff als auch die Hilfs- und Konservierungsstoffe die Ursache sein können.(8)

Systemische Nebenwirkungen wurden in den Studien nicht beobachtet. Die sichere Anwendung von Ivermectin hängt allerdings davon ab, dass die Barrieren zwischen Blut und Gehirn sowie anderen Organen genügend funktionieren – was bei einer Ivermectin-Überdosis, bei einer P-Glykoprotein-Hemmung oder bei gewissen krankheitsbedingten Zuständen nicht mehr «automatisch» gewährleistet ist, so dass zentralnervöse oder andere systemische Effekte nicht ausgeschlossen werden können.(1)

Interaktionen

Hemmer des P-Glykoproteins können zu einem Anstieg der Ivermectin-Exposition führen. Mit zytochromvermittelten Interaktionen ist nicht zu rechnen, da Ivermectin nur zu einem geringen Teil metabolisiert wird.

Auch Ivermectin selbst ist ein P-Glykoprotein-Hemmer, was zu beachten ist, wenn es mit P-Glykoprotein-Substraten kombiniert wird, die eine schmale therapeutische Breite besitzen (Digoxin, Ciclosporin [Sandimmun® u.a.]). Zudem hemmt Ivermectin das «Breast Cancer Resistance Protein» (BCRP), ein Transportprotein, das unter anderem in der Plazenta der Passage von Xenobiotika entgegenwirkt.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Ivermectin-Crème (Soolantra®) wird in einer Konzentration von 1% in Tuben zu 30 g angeboten und ist zugelassen zur Behandlung einer mittelschweren bis schweren papulopustulösen Rosazea. Das Mittel soll einmal pro Tag auf die befallenen Stellen im Gesicht aufgetragen werden, wobei Augen, Lippen und Schleimhäute auszusparen sind. Falls die Behandlung nach drei Monaten zu keiner Besserung geführt hat, soll sie abgebrochen werden. Zum Gebrauch bei Kindern und Jugendlichen gibt es keine Daten. Schwangeren und stillenden Frauen soll die Ivermectin-Crème nicht verschrieben werden; auch wenn die resorbierte Menge nach lokaler Anwendung gering ist, lässt sich eine Gefährdung des Fetus oder Säuglings nicht definitiv ausschliessen.

Die Ivermectin-Crème ist kassenpflichtig. Eine Tube, ungefähr für einen Monat reichend, kostet CHF 38.30. Eine Lokalbehandlung mit Metronidazol ist im günstigsten Fall halb so teuer wie mit Ivermectin, mit Azelainsäure – offiziell nur zur Aknebehandlung genehmigt – ungefähr gleich teuer.

Kommentar

Die Ivermectin-Crème dürfte bei papulopustulöser Rosazea eine Option zu sein, die bei vergleichbarer lokaler Verträglichkeit mindestens so gut wirkt wie Metronidazol oder Azelainsäure. Sie bietet den Vorteil, dass sie nur einmal pro Tag aufgetragen werden muss. Da die klinischen Erfahrungen mit Ivermectin aber noch relativ gering sind, ist es ratsam, wenn man als Medikament der ersten Wahl weiterhin das deutlich billigere Metronidazol bevorzugt.

Die Ivermectin-Crème ist zugelassen für Personen mit einer mittelschweren bis schweren papulopustulösen Rosazea. In diesen Fällen wird nicht selten auf eine systemische Therapie zurückgegriffen, zum Beispiel mit niedrigdosiertem Doxycyclin (Oracea® u.a.). Dies lässt es als wünschenswert erscheinen, dass der Stellenwert der Ivermectin-Crème auch im Vergleich zu einer solchen oralen Behandlung festgelegt würde.

Standpunkte und Meinungen

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Ivermectin-Crème (11. Dezember 2017)
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pharma-kritik, 39/No. 8
PK1028
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