Lesinurad

Lesinurad (Zurampic®) ist ein neues Urikosurikum, das zur Behandlung bei Gicht empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Über 90% der im Primärharn enthaltenen Harnsäure werden in den proximalen Nierentubuluszellen durch Transportproteine aus der Familie der «Organic Anion Transporters» (OAT) im Austausch gegen andere monovalente Anionen (Laktat u.a.) aktiv rückresorbiert. Namentlich zwei Proteine spielen eine wichtige Rolle beim Harnsäuretransport, zum einen URAT1 («Uric acid transporter 1»), zum anderen OAT4, das vor allem an der diuretikainduzierten Hyperurikämie beteiligt ist.

Lesinurad ist ein Hemmer des URAT1- und des OAT4-Transportproteins; dadurch wird die Harnsäureausscheidung im Urin forciert und der Harnsäurespiegel im Blut gesenkt. Auch andere Urikosurika wie Probenecid (Santuril®) sowie die beiden in der Schweiz nicht mehr erhältlichen Substanzen Benzbromaron und Sulfinpyrazon wirken über eine Beeinflussung renaler Transportproteine.(1,2)

Pharmakokinetik

Nach Einnahme von Lesinurad dauert es 1 bis 4 Stunden, bis die Plasmaspitzenkonzentration erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit wird mit 100% angegeben. 30% der Lesinurad-Menge gelangen in unveränderter Form in die Nieren und sind, wie man annimmt, dort für die pharmakologische Wirkung verantwortlich.(3) Der Rest wird über eine zytochromvermittelte Oxidation metabolisiert, wozu CYP2C9 den Hauptbeitrag leistet. Die Halbwertszeit liegt im Durchschnitt bei 5 Stunden. Bei Niereninsuffizienz vergrössert sich die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve mit zunehmender Funktionsstörung und ist bei einer Kreatinin-Clearance unter 30 ml/min ungefähr doppelt so hoch wie bei Nierengesunden. Eine leicht- bis mittelgradige Leberinsuffizienz hat keinen nennenswerten Effekt auf die Lesinurad-Elimination.

Bei verminderter CYP2C9-Aktivität («poor metabolizers») ist eine vermehrte Lesinurad-Exposition zu erwarten.(1)

Klinische Studien

Zu Lesinurad sind vier Phase-III-Studien publiziert, in denen das Mittel bei erwachsenen Personen mit einer Gicht doppelblind mit Placebo verglichen wurde. Den primären Endpunkt bildete jeweils der Anteil der Individuen, bei denen der Harnsäurespiegel nach 6 Monaten unterhalb einer definierten Grenze lag; im Allgemeinen betrachtet man einen Wert unter 360 mcmol/l (6,0 mg/dl) als anzustrebendes Ziel. Bei einer schweren, zum Beispiel durch Tophi oder eine Arthropathie gekennzeichneten Gicht ist ein Wert von weniger als 300 mcmol/l (5,0 mg/dl) wünschenswert. In allen vier Studien fand in den ersten 5 Behandlungsmonaten eine Gichtanfallsprophylaxe mit Colchicin (0,5 bis 0,6 mg/Tag) oder mit einem nicht-steroidalen Entzündungshemmer statt.

In der LIGHT-Studie (n=214) wurde die Monotherapie mit Lesinurad (400 mg/Tag) untersucht, und zwar bei Patienten und Patientinnen, bei denen die beiden Xanthinoxidasehemmer Allopurinol (Zyloric® u.a.) oder Febuxostat (Adenuric®) nicht vertragen worden oder kontraindiziert waren. Nach 6 Monaten wiesen in der Lesinurad-Gruppe 30% und in der Placebo-Gruppe 2% der Behandelten einen Harnsäurespiegel unter 360 mcmol/l auf.(4)

In den drei anderen Studien wurde Lesinurad ein Jahr lang in Kombination mit einem Xanthinoxidasehemmer eingesetzt. Den Studien CLEAR 1 (n=603)(5) und CLEAR 2 (n=610)(6) lag das gleiche Protokoll zugrunde. Sie befassten sich mit Personen, die in den zurückliegenden 12 Monaten mindestens zwei Gichtanfälle erlebt hatten und deren Harnsäurespiegel trotz Behandlung mit Allopurinol (Durchschnittsdosis rund 300 mg/Tag) nicht im gewünschten Bereich lag. Sie wurden zusätzlich mit Lesinurad (200 oder 400 mg/Tag) oder Placebo behandelt. Fasste man die Resultate der beiden Studien zusammen, erreichte man nach 6 Monaten mit Allopurinol/Placebo in 26% der Fälle einen Harnsäurespiegel unter 360 mcmol/l; bei der Kombination von Allopurinol mit der niedrigeren Lesinurad-Dosis betrug der Prozentsatz 55% und bei der Kombination mit der höheren 63%.(1) Lesinurad vermochte aber weder die Häufigkeit von Gichtanfällen noch die Rückbildung von Gichttophi signifikant zu beeinflussen.

In der CRYSTAL-Studie (n=324) wurden Lesinurad (200 oder 400 mg/Tag) oder Placebo zusammen mit Febuxostat (80 mg/Tag) verabreicht. Hier galt als zusätzliches Aufnahmekriterium, dass an Hand- oder Fussgelenken mindestens ein Gichttophus vorhanden war. Mit Febuxostat/Placebo mass man nach 6 Monaten bei 47% einen Harnsäurespiegel unter 300 mcmol/l, mit Febuxostat plus 200 mg Lesinurad bei 57% und mit Febuxostat plus 400 mg Lesinurad bei 76%. Auch in dieser Studie führte Lesinurad nicht zu einer relevanten Verminderung von Gichtanfällen und Gichttophi.(7)

Unerwünschte Wirkungen

Lesinurad kann – dosisabhängig – einen Anstieg des Kreatininspiegels hervorrufen: eine Erhöhung um mindestens das Zweifache trat bei 2% unter der 200-mg-Dosis und bei 7% unter der 400-mg-Dosis auf; mehrheitlich normalisierte sich die Nierenfunktion auch ohne Therapieunterbruch wieder. Ebenso können sich Nierensteine entwickeln. Insgesamt musste in 1% der Fälle (200 mg) bzw. 3% (400 mg) die Behandlung wegen einer renalen Nebenwirkung gestoppt werden; bei den Individuen, die Lesinurad als Monotherapie erhielten, lag dieser Anteil bei 8%.(1,8)

Als weitere unerwünschte Wirkungen traten Kopfschmerzen, grippeartige Symptome, gastroösophageale Refluxbeschwerden und Blutdruckanstieg auf.

In den klinischen Studien zählte man unter Lesinurad mehr kardiovaskuläre Ereignisse als unter Placebo; mangels statistischer Aussagekraft lassen sich aus dieser Beobachtung noch keine endgültigen Schlüsse ziehen.

Interaktionen

CYP2C9-Hemmer oder -Induktoren können die Lesinurad-Exposition verändern. Lesinurad ist ein schwacher CYP3A-Induktor und kann den Abbau von CYP3A-Substraten beschleunigen, wie es bei Amlodipin (Norvasc® u.a.) und Sildenafil (Viagra® u.a.; Revatio®) nachgewiesen wurde; möglicherweise kann Lesinurad auf diesem Weg auch die Wirkung von Kontrazeptiva vermindern.

In vitro zeigte Lesinurad eine schwache CYP2B6-induzierende Wirkung sowie einen hemmenden Effekt auf weitere Transportproteine, zum Beispiel auf OATP1B1, OATP1B3, und OCT1 in der Leber; ob sich daraus klinisch bedeutsame Interaktionen ergeben können, ist offen.

Beim Abbau von Lesinurad entsteht als Zwischenprodukt ein Substrat der mikrosomalen Epoxid-Hydrolase, weshalb Lesinurad nicht mit Hemmern dieses Enzyms wie Valproinsäure (Depakine® u.a.) kombiniert werden sollte.

Acetylsalicylsäure-Dosen von mehr als 325 mg/Tag können die urikosurische Wirkung von Lesinurad reduzieren.(9)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Lesinurad (Zurampic®) wird als Tabletten zu 200 mg angeboten und ist zugelassen zur Behandlung einer symptomatischen Gicht in Kombination mit einem Xanthinoxidasehemmer (in der Schweiz nur mit Allopurinol). Lesinurad ist nicht geeignet für eine Monotherapie und für die Behandlung einer asymptomatischen Hyperurikämie. Die empfohlene und zugleich maximale Dosis beträgt 200 mg pro Tag. Lesinurad sollte mit dem Frühstück und gleichzeitig mit dem Xanthinoxidasehemmer eingenommen werden, weil auf diese Weise die urikosurische Wirkung am besten bzw. die Harnsäurebelastung der Niere am geringsten ist. Ausserdem ist auf eine Trinkmenge von mindestens 2 Litern pro Tag zu achten. Es wird empfohlen, während der ersten 5 Monate einer Lesinurad-Behandlung eine Gichtanfallsprophylaxe durchzuführen.

Vor und während einer Lesinurad-Behandlung muss die Nierenfunktion kontrolliert werden. Bei einer Kreatinin-Clearance unter 45 ml/min soll keine Behandlung mit Lesinurad begonnen werden, und bei einem Wert unter 30 ml/min oder einer Verdopplung des Kreatinin-Spiegels muss sie gestoppt werden.

Die Anwendung bei schwangeren und stillenden Frauen ist nicht geprüft und deshalb zu vermeiden.

Lesinurad ist kassenpflichtig und kostet CHF 40.40 pro Monat. Bei Probenecid, dem anderen in der Schweiz erhältlichen Urikosurikum, hängt der Monatspreis von der eingesetzten Dosis (500 bis 2000 mg/Tag) ab und bewegt sich zwischen CHF 25.80 und 103.20.

Kommentar

Mit Lesinurad ist nach Febuxostat innerhalb kurzer Zeit ein zweites neues Medikament auf den Markt gekommen, das zur Harnsäuresenkung bei Gicht eingesetzt werden kann. Indessen fehlt für Lesinurad ebenfalls der Nachweis, dass nicht nur der Harnsäurespiegel, sondern auch die Häufigkeit von Gichtanfällen und anderen Komplikationen gesenkt wird. Weitere Vorbehalte betreffen die Nephrotoxizität, mit der in einem nicht unerheblichen Prozentsatz zu rechnen ist, sowie die Unklarheit, ob man mit einer Lesinurad-Behandlung ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko in Kauf nimmt.

Bei einer ungenügenden Harnsäuresenkung unter «konventioneller» Allopurinol-Dosis (bis 300 mg/Tag) ist es anstelle der Kombinationsbehandlung mit Lesinurad womöglich die sinnvollere Strategie, zuerst die Allopurinol-Dosis zu erhöhen (bis maximal 900 mg/Tag). Braucht es neben einem Xanthinoxidashemmer doch ein Urikosurikum, darf man Probenecid nicht vergessen, das gegenüber Lesinurad keine gewichtigen Nachteile erkennen lässt und bei dem renale Nebenwirkungen weniger typisch sind.(10)

Standpunkte und Meinungen

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Lesinurad (18. Mai 2018)
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pharma-kritik, 40/No. 1
PK1043
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