Aprepitant

Aprepitant (Emend®), ein neues Antiemetikum, wird zur Vorbeugung des Chemotherapie-induzierten Erbrechens empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Aprepitant blockiert Neurokinin-1-Rezeptoren, die in den Neu ronen des Brechzentrums im Hirnstamm reichlich vorhanden sind. Dadurch wird die emetische Wirkung der Substanz P gehemmt, dem wichtigsten endogenen Liganden des Neurokiin-1-Rezeptors. Die Substanz P ist ein Oligopeptid und dient sowohl im zentralen wie peripheren Nervensystem bei sensorichen Neuronen als Neurotransmitter, also wahrscheinlich auch in den afferenten Bahnen, die zum Brechzentrum führen. Aprepitant hat keine nennenswerte Affinität zu serotoninergen oder dopaminergen Rezeptoren.(1,2)

Pharmakokinetik

Nach oraler Einnahme von Aprepitant dauert es 4 Stunden, bis maximale Plasmaspiegel gemessen werden. Die biologische Verfügbarkeit beträgt 60 bis 65%. Es besteht eine nicht-lineare Pharmakokinetik, indem die Plasmakonzentration bei Dosiserhöhung überproportional ansteigt. Aprepitant wird in der Leber über das Zytochrom-P450-System dealkyliert, woran sich CYP3A4 und in geringerem Mass CYP1A2 und CYP2C19 beteiligen. Daraus entstehen mindestens sieben Metaboliten; sie besitzen keine nennenswerte pharmakologische Aktivität und werden je etwa zur Hälfte via Urin und Stuhl eliminiert. Die Halbwertszeit liegt bei 9 bis 13 Stunden. Bei leichter bis mit telgradiger Leberinsuffizienz sowie bei eingeschränkter Nieren funktion ist die Pharmakokinetik nicht wesentlich verändert.(1,2)

Klinische Studien

Die Wirksamkeit von Aprepitant gegenüber Chemotherapie- induziertem Erbrechen ist in erster Linie bei Behandlungsschemen untersucht worden, die Cisplatin (Platinol® u.a.) enthielten. Cisplatin in höherer Dosis gehört zu den am stärksten emetogenen Zytostatika. Ohne antiemetische Prophylaxe ruft es praktisch immer Erbrechen hervor, das typischerweise einen zweiphasigen Verlauf zeigt: wenige Stunden nach Cisplatin-Verabreichung kommt es zu akutem Erbrechen; später, nach rund 24 Stunden, entwickelt sich verzögertes Erbrechen, das mehrere Tage andauern kann. Wie kontrollierte Vergleiche gezeigt haben, hilft Aprepitant gegen das verzögerte Erbrechen besser, gegen das akute aber weniger gut als die 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten Ondansetron (Zofran®) oder Granisetron (Kytril®).(3-5)

In den wichtigen, grossen Studien ist Aprepitant deshalb nur in Kombination mit anderen Antiemetika geprüft worden. Es handelt sich dabei um drei Doppelblindstudien bei Personen, die sich einem Chemotherapie-Schema unterziehen mussten, das eine einmalige Infusion von hochdosiertem Cisplatin (= 70 mg pro m²) beinhaltete. Zusätzlich zu einer antiemetischen Standardprophylaxe wurde entweder Aprepitant oder Placebo verordnet. Als Standardprophylaxe wählte man die Kombination von Ondansetron, kurz vor der Chemotherapie einmal 32 mg intravenös verabreicht, und Dexamethason (Fortecortin® u.a.), während mehrerer Tage als Tabletten eingenommen. Aprepitant wurde oral verabreicht, und zwar am ersten Tag in einer höheren Dosis, an den folgenden Tagen in einer um etwa ein Drittel geringeren Dosis. In einer Dosisfindungsstudie bei 381 Personen wirkten beide Aprepitant-Dosen besser gegen Übelkeit und Erbrechen als die Standardprophylaxe allein; zudem erwies sich die höhere Aprepitant-Dosis (125/80 mg)
der niedrigeren (40/25 mg) als überlegen.(6)

Die beiden Hauptstudien ? beide ungefähr gleich gross, je knapp 1050 Personen umfassend ? wurden nach dem gleichen Schema durchgeführt. Von zwei Gruppen behandelte man die eine mit Aprepitant (125 mg am Tag 1, 80 mg an den Tagen 2 und 3), Ondansetron und Dexamethason (12 mg am Tag 1, 8 mg an den Tagen 2 bis 4), die andere mit Placebo, Ondansetron und Dexamethason (20 mg am Tag 1, 16 mg an den Tagen 2 bis 4). In der ersten Studie betrug der Anteil der Personen in der Aprepitant-Gruppe, die nicht unter Erbrechen litten und nicht auf Reserve-Antiemetika zurückgreifen mussten, am ersten Tag (Phase des akuten Erbrechens) 89%, während der folgenden Tage (Phase des verzögerten Erbrechens) 75% und über die ganze Studienperiode betrachtet 73%. In der Gruppe mit der alleinigen Standardprophylaxe betrugen die entsprechenden Prozentsätze 78%, 55% und 52%. Der Anteil der Personen, bei denen die Lebensqualität durch Übelkeit oder Erbrechen nicht oder nur minim beeinträchtigt wurde, erreichte in der Aprepitant-Gruppe 74%, in der anderen Gruppe 64%.(7) Die zweite Studie lieferte für beide Gruppen etwas schlechtere Ergebnisse, die Unterschiede zwischen Aprepitant und Placebo waren aber ebenfalls signifikant.(8)

In einer als Kongressbeitrag in Kurzform veröffentlichten Studie wurde Aprepitant bei brustkrebskranken Frauen getestet, die mit Cyclophosphamid (Endoxan®) und einem Anthrazyklin behandelt wurden. Das Resultat lässt annehmen, dass eine Prophylaxe mit Aprepitant auch bei Zytostatika nützt, die nicht ganz so emetisch wirken wie Cisplatin.(9)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, die unter Aprepitant häufiger auftraten als in den Kontrollgruppen, waren Müdigkeit und Schwächegefühl, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Diarrhoe, Schluckauf sowie Leberenzymerhöhungen. Nicht ausgeschlossen werden kann ein kanzerogener Effekt (der bei kurzfristiger Gabe indessen wohl kein Gewicht hat); so sind bei Nagetieren, die über längere Zeit Aprepitant erhalten hatten, neben Adenomen auch Schilddrüsenkarzinome und Fibrosarkome aufgetreten.(2)

Interaktionen

Da Aprepitant ein Substrat von CYP3A4 ist, wird seine Pharakinetik von CYP3A4-Hemmern oder -Induktoren beeinflusst. Aprepitant selbst hemmt vor allem CYP3A4, was zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen von CYP3A4-Substraten führen kann; zu beachten ist dies zum Beispiel bei Dexamethason, Methylprednisolon (Medrol® u.a.) und unter den Zytostatika bei Taxanen, Vinca-Alkaloiden, Etoposid (Vepesid® u.a.), Ifosfamid (Holoxan®) und Irinotecan (Campto®). Nach einer mehrtägigen Verabreichung von Aprepitant kommt aber eine induzierende Wirkung zum Tragen, die CYP3A4 und CYP2C9 betrifft. Daraus leitet sich die Empfehlung ab, bei oral antikoagulierten Personen die INR sorgfältig zu überwachen und eine orale Kontrazeption durch eine zusätzliche Verhütungsmethode zu ergänzen.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Aprepitant (Emend®) ist als Kapseln zu 80 und 125 mg erhältlich. Es ist indiziert in Kombination mit einem 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten und einem Kortikosteroid zur antiemetischen Prophylaxe bei einer stark emetischen Chemotherapie (Die europäischen Richtlinien enthalten im Gegensatz zu den schweizerischen die Spezifikation, dass es eine Cisplatin-haltige Chemotherapie sein muss.) Aprepitant wird über drei Tage verabreicht: am ersten Tag, eine Stunde vor Beginn der Chemotherapie, 125 mg, am zweiten und dritten Tag je 80 mg. Die Anwendung bei schwangeren Frauen und bei Kindern ist nicht geprüft. Während der Stillzeit sollte die Substanz ebenfalls nicht eingesetzt werden. Aprepitant ist kassenzulässig; eine Dreitages-Packung (1-mal 125 mg plus 2-mal 80 mg) kostet CHF 126.60.

Kommentar

Aprepitant ist ein Antiemetikum mit einem neuartigen Wirkmechanismus, das einen verbesserten Schutz gegenüber stark emetogenen Zytostatika verspricht. Als Nachteile fallen auf den ersten Blick einzig die vielen Interaktionsmöglichkeiten und der hohe Preis ins Auge. Die «Number Needed to Treat» (NNT), die sich aus den vorliegenden Studien errechnen lässt, ist relativ niedrig; man muss etwa fünf Cisplatin-behandelten Personen Aprepitant verschreiben, um einen zusätzlichen Fall von schwerer Übelkeit oder Erbrechen zu verhüten. Allerdings ist dieses Ergebnis als etwas schöngefärbt zu bezeichnen. In den Kontrollgruppen wurde nämlich gegen das verzögerte Erbrechen lediglich Dexamethason eingesetzt, obschon in allen Richtlinien auf die Möglichkeit einer zusätzlichen Gabe von Metoclopramid (Paspertin® u.a.) hingewiesen wird; daraus ist zu schliessen, dass Aprepitant nicht mit der bestmöglichen Therapie verglichen wurde. Auch sonst lässt die Dokumentation gewisse Punkte offen: so weiss man nichts darüber, ob Aprepitant auch bei bereits vorhandenem Erbrechen helfen kann oder wie es dosiert werden soll, wenn Zytostatika über mehrere Tage gegeben werden.

Standpunkte und Meinungen

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Aprepitant (17. Dezember 2004)
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pharma-kritik, 26/No. 9
PK105
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