Semaglutid

Semaglutid (Ozempic®), ein neuer GLP-1-Rezeptoragonist, kann als Monotherapie (bei Unverträglichkeit von Metformin) sowie in Kombination mit anderen Antidiabetika bei Typ-2-Diabetes verwendet werden.

Chemie/Pharmakologie

Bei Nahrungszufuhr wird im Darm ein Peptidhormon, das Glukagon-ähnliche Typ-1-Peptid («glucagon-like peptide 1», GLP-1) freigesetzt. GLP-1-Rezeptoragonisten («Glutide») sind Polypeptide mit einer GLP-1-ähnlichen Aminosäurensequenz, die sich wie das menschliche GLP-1 an die entsprechenden Rezeptoren im Pankreas binden und dessen Wirkung imitieren. Glutide regen die Insulinsekretion an, unterdrücken die postprandiale Glukagonsekretion, verlangsamen die Magenentleerung und erhöhen das Sättigungsgefühl. Semaglutid unterscheidet sich von dem schon länger bekannten Liraglutid (Victoza®) in erster Linie durch eine längere («optimierte») Fettsäure-Seitenkette, die zu einer stärkeren Bindung an Albumin führt.(1)

Pharmakokinetik

Nach subkutaner Injektion dauert es 1 bis 3 Tage, bis maximale Semaglutid-Plasmaspiegel erreicht sind. Die systemische Verfügbarkeit soll etwa 90% betragen. Der Polypeptidanteil wird proteolytisch gespalten, die Fettsäure-Seitenkette oxidiert. Im Plasma findet sich überwiegend unverändertes Semaglutid; ausserdem können kleine Mengen von sechs Metaboliten nachgewiesen werden.(2) Das Medikament wird mit dem Stuhl und dem Urin eliminiert; nur 3% davon finden sich als unveränderte Substanz im Urin. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa 1 Woche.

Semaglutid kann auch oral verabreicht werden; entsprechende Präparate sind jedoch noch nicht erhältlich und genauere kinetische Daten fehlen bisher.

Klinische Studien

Die klinischen Phase-3-Studien zur subkutanen Verabreichung von Semaglutid laufen unter der Bezeichnung «SUSTAIN» - aktuell sind zehn internationale sowie drei asiatische SUSTAIN-Studien bekannt; zu neun davon sind Resultate veröffentlicht.(3) Die Tabelle 1 gibt dazu eine Übersicht.

Als Monotherapie wurde Semaglutid bei 387 Erwachsenen mit einem Typ-2-Diabetes und einem HbA1c-Wert zwischen 7 und 10% untersucht, die noch keine medikamentöse Therapie hatten. In drei  etwa gleich grossen Gruppen wurde die Wirkung wöchentlicher Injektionen von 0,5 mg Semaglutid, 1,0 mg Semaglutid und Placebo verglichen. Innerhalb von 30 Wochen nahm das HbA1c unter den beiden Semaglutid-Dosen um 1,4 bis 1,5% stärker ab als unter Placebo. In derselben Zeit kam es unter der aktiven Medikation auch zu einer signifikanten Gewichtsabnahme – um 2½ bis 3½ kg mehr als unter Placebo.(4)

Die mit SUSTAIN-6 bezeichnete Studie ist die bisher wichtigste und grösste Semaglutid-Studie: 3297 Personen über 50 Jahre mit einem Typ-2-Diabetes und manifester kardiovaskulärer oder renaler Erkrankung oder einem Alter über 60 und mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor nahmen teil. Praktisch alle Teilnehmenden wurden bereits medikamentös behandelt, in erster Linie mit Metformin, Sulfonylharnstoffen und Insulin. Ihr durchschnittlicher HbA1c-Wert vor der Studie betrug 8,7%.  Sie erhielten während zwei Jahren doppelblind wöchentlich 0,5 mg oder 1,0 mg Semaglutid bzw. entsprechende Placebo-Dosen subkutan. Für diese Studie war ein kombinierter primärer Endpunkt definiert, bestehend aus den kardiovaskulär bedingten Todesfällen und den nicht-tödlichen Fällen von Herzinfarkt und Schlaganfall. Dieser Endpunkt trat bei 6,6% der mit Semaglutid Behandelten auf, signifikant seltener als unter Placebo (8,9%). Von den drei Komponenten des zusammengesetzten Endpunkts wurden nur die nicht-tödlichen von Semaglutid beeinflusst. Sowohl die kardiovaskuläre als auch die Gesamt-Mortalität war in den Vergleichsgruppen praktisch identisch. Die Nierenfunktion veränderte sich in den Semaglutid-Gruppen seltener ungünstig als in den Placebogruppen; Retinopathie-bedingte Augenkomplikationen waren dagegen signifikant häufiger in den Semaglutid-Gruppen. Das HbA1c nahm in der 0,5-mg-Gruppe um 0,7%, in der 1,0-mg-Gruppe um 1,0% stärker ab als unter Placebo; das Körpergewicht fand sich unter Semaglutid um etwa 3 bis 4 kg mehr reduziert als unter Placebo.(5)

Semaglutid eignet sich wohl auch zur oralen Verabreichung: Diese Form der Anwendung wird im «PIONEER»-Studienprogramm untersucht, von dem erste Resultate veröffentlicht sind. Mit verschiedenen einmal täglich oral verabreichten Semaglutid-Dosen konnte innerhalb von 26 Wochen eine gegenüber Placebo signifikante Senkung des HbA1c und des Körpergewichts erreicht werden.(6)

Die subkutane Verabreichung von Semaglutid kann auch bei nicht-diabetischen Personen mit Übergewicht zur Gewichtsabnahme führen. Auch dazu sind schon Studienresultate publiziert: In einer Doppelblindstudie wurden 957 Übergewichtige (ohne Diabetes) während eines Jahres täglich mit Semaglutid-Dosen zwischen 0,05 mg und 0,4 mg (subkutan), Liraglutid (3 mg/Tag) oder Placebo behandelt. Mit Semaglutid-Dosen von mindestens 0,2 mg/Tag ergab sich nicht nur gegenüber Placebo, sondern auch gegenüber Liraglutid eine stärkere Senkung des Körpergewichts.(7)

Unerwünschte Wirkungen

Wie bei anderen GLP-1-Rezeptoragonisten sind gastro-intestinale Nebenwirkungen häufig störend.  Besonders in den ersten Wochen einer Behandlung mit Semaglutid klagen sehr viele Personen (mehr als 20%) über Übelkeit und Erbrechen, aber auch oft über Durchfall. In einzelnen Studien brachen mehr als fünf Prozent der Behandelten deswegen die Semaglutid-Behandlung ab. Auch andere gastro-intestinale Probleme (Obstipation, Aufstossen) werden beobachtet. In den bisher publizierten Studien waren Erkrankungen des Pankreas und der Gallenblase unter Semaglutid nicht häufiger als unter Placebo. Bei einer Minderheit der Behandelten lassen sich Antikörper gegen Semaglutid nachweisen. Allergische Reaktionen können vorkommen; über anaphylaktische Reaktionen wurde bisher nicht berichtet. Hypoglykämien können in erster Linie bei kombinierter Behandlung mit Semaglutid, Sulfonylharnstoffen und/oder Insulin beobachtet werden.

Die in der oben erwähnten Studie SUSTAIN-6 beobachteten diabetischen Augenkomplikationen (Netzhaut- oder Glaskörperveränderungen, die eine Intervention erforderten; Glaskörper-Blutungen; Blindheit) traten in der Semaglutid-Gruppe bei 3%, in der Placebo-Gruppe nur bei 1,8% auf. Gemäss einer Post-hoc-Analyse der Daten kann angenommen werden, dass ganz überwiegend Diabeteskranke von Augenkomplikationen betroffen waren, die schon vor der Studie eine diabetische Retinopathie hatten und in vielen Fällen auch mit Insulin behandelt wurden. Obwohl die Augenkomplikationen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Studie auftraten, wird spekuliert, dass sie mit einer raschen Abnahme des HbA1c in Zusammenhang stehen könnten.(8)

Interaktionen

Da Semaglutid die Magenentleerung verlangsamt, kann es theoretisch die Resorption gleichzeitig eingenommener Medikamente beeinträchtigen. Für die bisher diesbezüglich untersuchten Medikamente (orale Kontrazeptiva, Metformin, Atorvastatin, Digoxin) scheint dies jedoch nicht zuzutreffen. Es gibt aktuell keine Anhaltspunkte, dass das Medikament die Zytochrome beeinflusst.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Semaglutid (Ozempic®) ist in Form von «Fertigpens» verfügbar: der eine («DualDose») dient der Injektion einer Dosis von 0,25 oder 0,5 mg, mit dem anderen («FixDose») können nur 1-mg-Dosen  verabreicht werden. Die Anfangsdosis beträgt 0,25 mg pro Woche, nach 4 Wochen wird die Dosis verdoppelt (0,5 mg/Woche). Nach frühestens weiteren 4 Wochen kann die Dosis nach Bedarf nochmals verdoppelt werden. Das Präparat ist limitiert kassenzulässig. Semaglutid kann bei Typ-2-Diabetes als Monotherapie verwendet werden, wenn Metformin kontraindiziert oder nicht verträglich ist. Es ist auch zur Verwendung mit anderen Antidiabetika zusammen zugelassen, wobei das erhöhte Hypoglykämie-Risiko in Kombination mit Insulin oder Sulfonylharnstoffen beachtet werden soll. Zur Verabreichung bei Kindern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren sowie bei schwangeren und stillenden Frauen liegen keine genügenden klinischen Daten vor; bei diesen Personen soll Semaglutid nicht verwendet werden. Wegen der langen Halbwertszeit von Semaglutid ist das Medikament zwei Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abzusetzen.

Die Glutide sind die Antidiabetika, die die höchsten Kosten verursachen. Semaglutid kostet in der niedrigeren Dosierung von 0,5 mg wöchentlich rund 165 Franken pro Monat. (Liraglutid kostet in der niedrigeren Dosierung von 1,2 mg/Tag ungefähr 153 Franken monatlich.)

Kommentar

Mit Semaglutid steht nun schon das dritte Glutid-Präparat zur Verfügung, das nur einmal wöchentlich injiziert werden muss. Es ist mit den beiden anderen «Wochenpräparaten», nämlich mit retardiertem Exenatid (Bydureon®) und mit Dulaglutid (Trulicity®) verglichen worden und hat sich in beiden Vergleichen als etwas wirksamer erwiesen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese Medikamente in erster Linie deshalb wirken, weil sie den Leuten «den Appetit verderben». Ein Blick auf die entsprechenden Zahlen zu den Gewichtsveränderungen bestätigt diesen Eindruck: Semaglutid hat in den erwähnten Studien das Körpergewicht signifikant stärker gesenkt als die Vergleichsmedikamente. Für die Mehrheit der Patientinnen und Patienten sind die gastro-intestinalen Nebenwirkungen aber offenbar nicht so bedeutsam, dass sie das Medikament absetzen würden.

Aufgrund der bisher publizierten Studien kann vermutet werden, dass die GLP-1-Rezeptoragonisten allgemein nicht zu makrovaskulären Problemen führen oder sich in dieser Hinsicht sogar vorteilhaft auswirken könnten. Das letzte Wort zum Nutzen oder Schaden dieser Antidiabetika-Gruppe ist aber noch nicht gesprochen. Zwei Resultate der hier vorgestellten SUSTAIN-6-Studie fallen auf: 1. Weder die kardiovaskuläre noch die gesamte Mortalität unterscheidet sich unter Semaglutid signifikant von den Resultaten unter Placebo. 2. In dieser gegenüber anderen Studien längeren Studie ist es unter Semaglutid zu häufigeren Komplikationen einer diabetischen Retinopathie gekommen. Übertriebene Begeisterung ist deshalb nicht angezeigt. Insbesondere bei Kranken mit einer manifesten diabetischen Retinopathie sind GLP-1-Rezeptoragonisten wohl keine optimale Wahl.

Standpunkte und Meinungen

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Semaglutid (23. Januar 2019)
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pharma-kritik, 40/No. 8
PK1058
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