Glucosamin
- Autor(en): Peter Ritzmann
- pharma-kritik-Jahrgang 29
, Nummer 2, PK173
Redaktionsschluss: 12. Juli 2007
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2007.173 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Glucosamin wird als Nahrungsergänzungsmittel bei Kniegelenksarthrosen empfohlen. In der Schweiz registrierte und erhältliche Monopräparate sind «Active Glucosamine» und «Voltaflex®»
Chemie/Pharmakologie
D-Glucosamin (in der Folge als Glucosamin bezeichnet) ist ein natürlich vorkommender Aminozucker und Bestandteil verschiedener Polysaccharide. Als Glykosaminoglykane bzw. Seitenketten von Proteoglykanen spielen diese eine wichtige Rolle beim Aufbau der Knorpelsubstanz und bei der Produktion von Synovialflüssigkeit (Hyaluronsäure).
Mit der Einnahme von Glucosamin soll die Produktion von Knorpelsubstanz und/oder der Synovialflüssigkeit insbesondere in arthrotisch geschädigten Gelenken verbessert werden. Glucosamin weist keinen nennenswerten Einfluss auf die Prostaglandinsynthese auf, scheint aber trotzdem entzündungshemmende Eigenschaften zu besitzen. Möglicherweise kommen diese auch über die Bildung von Glykosaminoglykanen zustande.(1)
Glucosamin wird durch Hydrolyse aus dem Chitin von Krustentierschalen gewonnen. Für die orale Einnahme werden zwei verschiedene Salze, Glucosaminhydrochlorid (Voltaflex®) und Glucosaminsulfat («Active Glucosamine») angeboten. Wegen des unterschiedlichen Molekulargewichtes enthalten 750 mg Glucosaminhydrochlorid etwa gleich viel Glucosamin wie 1'000 mg Glucosaminsulfat. Da Sulfat auch bei der Glykosaminoglykansynthese benötigt wird, wird darüber spekuliert, ob die Sulfatgruppe für die Wirkung von Glucosamin wichtig sein könnte.(2)
Pharmakokinetik
Die Pharmakokinetik von Glucosamin ist nur ansatzweise untersucht worden. Erschwert werden pharmakokinetische Untersuchungen dadurch, dass zugeführtes Glucosamin rasch aus dem Kreislauf verschwindet und entweder in komplexe Moleküle eingebaut oder (z.B. in der Leber) zu Harnstoff, H2O und CO2 abgebaut wird. In Studien mit radioaktiv markiertem Glucosaminsulfat wurde die orale Bioverfügbarkeit auf 26% geschätzt; wahrscheinlich wird die Substanz schon präsystemisch stark metabolisiert. Die Ausscheidung der Radioaktivität erfolgte in Tierversuchen zur Hauptsache als CO2 in der Atemluft. (1) In einer neueren Studie bei gesunden Menschen wurden 3 Stunden nach der Einnahme Spitzen-Plasmaspiegel und bei einmaliger täglicher Einnahme nach 3 Tagen ein «steady-state» beobachtet. Dies lässt auf eine durchschnittliche Plasma- Halbwertszeit von etwa 15 Stunden schliessen.(3) Gemäss Angaben der Herstellerfirma entspricht die Resorption von Glucosaminhydrochlorid etwa derjenigen von Glucosaminsulfat.
Klinische Studien
Um 1980 wurden mehrere placebokontrollierte Studien mit maximal 80 Teilnehmenden veröffentlicht. Alle zeigten einen signifikanten Nutzen von Glucosamin bezüglich arthrotischer Schmerzen, entsprechen aber modernen Qualitätsanforderungen nicht mehr.
Neuere Studien haben weit weniger eindeutige Resultate ergeben: In einer 12-wöchigen Doppelblindstudie erhielten 205 Personen mit symptomatischer Gonarthrose täglich 1'500 mg Glucosamin oder Placebo. Die Symptome wurden mit dem Arthrose-Index der «Western Ontario and McMaster Universities » (WOMAC) beurteilt. Es fand sich kein signifikanter Nutzen von Glucosamin. «Schönheitsfehler» dieser Studie sind Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen vor Therapiebeginn in wichtigen Punkten wie Geschlecht, Schmerzmitteleinnahme und Gewicht. Ausserdem musste während der Studie der Arzneimittellieferant gewechselt werden, so dass initial Glucosaminsulfat, später hingegen Glucosaminhydrochlorid abgegeben wurde.(4)
Sechs Monate dauerte eine andere Doppelblindstudie, in welche 318 Personen (vorwiegend Frauen) mit Gonarthrose aufgenommen wurden. Diese erhielten Glucosaminsulfat (einmal täglich 1'500 mg), Paracetamol (Dafalgan® u.a.; dreimal täglich 1'000 mg) oder Placebo. In der Glucosamin- und in der Paracetamolgruppe nahmen die Symptome signifikant stärker ab als in der Placebogruppe (Abnahme des WOMACArthrose- Indexwertes um 34% und 30% gegenüber 22%).(5)
In der bisher grössten Doppelblindstudie wurden 1'538 Personen mit symptomatischer Gonarthrose für 24 Wochen einer von fünf Gruppen zugeteilt. In einer Gruppe wurde mit Placebo behandelt, in der zweiten mit Glucosaminhydrochlorid (dreimal täglich 500 mg), in der dritten mit Chondroitinsulfat (Condrosulf®, Structum®; dreimal täglich 400 mg), in der vierten mit Glucosamin und Chondroitinsulfat, in der fünften mit Celecoxib (Celebrex®; einmal täglich 200 mg). Als primärer Endpunkt diente eine Abnahme der Arthroseschmerzen um 20% gemäss dem WOMAC-Index. Dieser Endpunkt wurde in der Placebogruppe von 60% der Untersuchten erreicht, in der Glucosamingruppe von 64%, in der Chondroitinsulfatgruppe von 65% und in der Kombinationsgruppe von 67%. Nur für die Celecoxibgruppe, in der 70% auf die Therapie ansprachen, fand sich ein signifikanter Unterschied zu Placebo.(6)
Vorteilhafter erscheinen die Resultate für Glucosamin in zwei Studien, in denen primär der Einfluss einer dreijährigen Behandlung auf die Gelenkspaltbreite im Röntgenbild untersucht wurde. In der einen Studie erhielten 212, in der anderen 202 Personen mit Gonarthrose nach dem Zufall täglich einmal 1'500 mg Glucosaminsulfat oder Placebo. In beiden Studien wurde der Kniegelenkspalt im Laufe der Studie in den Placebogruppen um 0,2 bis 0,3 mm schmäler, währenddem er sich in den Glucosamingruppen um höchstens 0,1 mm veränderte (Unterschiede signifikant). In beiden Studien wurde in den Glucosamingruppen auch eine Besserung der Arthrosebeschwerden beobachtet, die signifikant grösser war als in den Placebogruppen. Die Besserung der Beschwerden korrelierte allerdings bei den einzelnen Untersuchten schlecht mit dem radiologischen Erfolg.(7,8)
Gemäss der aktuellen Cochrane-Übersicht (in der die neuesten Studien noch nicht berücksichtigt sind) ergeben die Resultate von 20 Glucosamin-Studien gesamthaft zwar einen signifikanten Nutzen bezüglich Schmerzen und Funktion. Wenn nur die acht qualitativ höher bewerteten Studien berücksichtigt werden, wird der Unterschied gegenüber Placebo aber klein und ist nicht mehr signifikant. Irritierend ist, dass auch bei Beschränkung auf Studien höherer Qualität bzw. auf Studien mit dem Glucosaminsulfat-Präparat einer einzigen Herstellerfirma die Studienresultate heterogen sind. Dadurch werden die Resultate der Meta-Analyse insgesamt in Frage gestellt.(9)
Ähnliches gilt auch für die Resultate von Vergleichsstudien mit nicht-steroidalen Entzündungshemmern, die in der gleichen Cochrane-Übersicht zusammengefasst werden. Einzelne Studien zeigten bezüglich Schmerzwirkung keine signifikanten Unterschiede zwischen Glucosamin und Entzündungshemmern, während in einer nicht veröffentlichten Studie Glucosamin nicht nur deutlich wirksamer als Placebo, sondern auch als Piroxicam (Felden® u.a.; 20 mg täglich) erschien.(9)
In einigen kleineren placebokontrollierten Studien wurden neben Personen mit Gonarthrose auch solche mit Coxarthrose oder Arthrosen anderer Lokalisation aufgenommen. Die Daten sind aber zu spärlich, als dass daraus eine Aussage zur Wirksamkeit abgeleitet werden könnte.
Unerwünschte Wirkungen
In den randomisierten Studien waren unerwünschte Wirkungen unter Glucosamin-Präparaten nicht häufiger als unter Placebo und seltener als unter nicht-steroidalen Entzündungshemmern. Am häufigsten beobachtet wurden unspezifische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit oder gastrointestinale Störungen. (9) Ausserdem liegt eine ganze Reihe von Fallberichten zu weiteren Nebenwirkungen vor. Am häufigsten gemeldet wurden allergische Reaktionen (unspezifische Hautausschläge, Urtikaria, Juckreiz und Angioödeme). Als Auslöser wird in erster Linie eine Sensibilisierung auf Antigene von Krustentieren oder Sojabohnen vermutet. Auch verstärktes Asthma, Beinödeme und in einem Fall eine interstitielle Nephritis wurden beobachtet.(10) Ob Glucosamin erhöhte Cholesterinwerte und bei Diabetes mellitus eine verschlechterte Blutzuckereinstellung verursachen kann, wird kontrovers diskutiert. Es liegen entsprechende Fallberichte vor und es gibt auch Hinweise, dass Glucosamin z.B. eine Insulinresistenz verstärken könnte. In zwei kleineren Studien wurden bei Einnahme üblicher Dosen zwar tendenziell höhere Cholesterin- und Triglyzerid-Werte und bei Personen mit Typ-2-Diabetes höhere HbA1c-Werte gemessen. Die Unterschiede zu Placebo waren aber minim und erreichten keine statistische Signifikanz.(11,12)
Interaktionen
Nach Angaben der Herstellerfirma kann oral verabreichtes Glucosaminsulfat die Resorption gleichzeitig verabreichter Tetrazykline erhöhen und diejenige von Penicillin vermindern.(1) Die hepatischen Zytochrome haben am Metabolismus von Glucosamin vermutlich keinen relevanten Anteil. Interaktionen über diesen Mechanismus sind deshalb nicht wahrscheinlich. Eine Übersicht über 22 entsprechende Meldungen lässt darauf schliessen, dass die Einnahme von Glucosamin die Wirkung von oralen Antikoagulantien verstärken kann. Der zugrundeliegende Mechanismus ist nicht bekannt.(13)
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Glucosamin ist in der Schweiz nicht als Medikament, sondern als Nahrungsergänzungsmittel registriert und nicht kassenzulässig. Da Glucosamin in der Regel aus Schalen von Krustentieren gewonnen wird, gilt die Einnahme bei bekannter Crevetten- Allergie als kontraindiziert.
Die Herstellerfirmen der beiden registrierten Präparate empfehlen bei Kniearthrose die einmalige tägliche Einnahme von 500 mg Glucosaminsulfat («Active Glucosamine», monatliche Kosten von CHF 9.80) bzw. 750 mg Glucosaminhydrochlorid (Voltaflex®, monatliche Kosten von CHF 11.65 bis 14.95, je nach Packungsgrösse). Die in den Studien übliche Tagesdosis von 1'500 mg verursacht monatliche Kosten im Bereich von 25 bis 30 Franken.
Kommentar
Die Diagnose einer Arthrose ist gerade für jüngere, aktive Leute häufig schwer zu akzeptieren. Entsprechend gross ist bei einem Teil der Betroffenen der Wunsch, eine Behandlung zu versuchen, die nicht nur die Schmerzen lindern, sondern auch einen weiteren Funktionsverlust verhindern könnte. Glucosamin ist als natürlich vorkommender «Baustein» von Knorpelsubstanz und Synovialflüssigkeit eine interessante Substanz. Unerwünschte Wirkungen scheinen selten zu sein, zumindest wenn keine Crevetten-Allergie besteht. Gesamthaft sind die klinischen Resultate mit Glucosamin jedoch enttäuschend: in neueren Studien – insbesondere solchen, die unabhängig finanziert wurden – konnte ein symptomatischer Nutzen, wie er in früheren Studien gefunden worden war, nicht bestätigt werden. Bevor unabhängig finanzierte Studien einen günstigen Einfluss auf den Krankheitsverlauf bestätigt haben, sollte eine Behandlung wie auch eine «Nahrungsergänzung» mit Glucosamin entsprechend zurückhaltend bewertet werden.
Literatur
- 1) Matheson AJ, Perry CM. Drugs 2003; 20: 1041-60
- 2) Hoffer LJ et al. Metab Clin Exp 2001; 50: 767-70
- 3) Persiani S et al. Osteoarthritis Cartilage 2005; 13: 1041-9
- 4) McAlindon T et al. Am J Med 2004; 117: 643-9
- 5) Herrero-Beaumont G et al. Arthritis Rheum 2007; 56: 555-67
- 6) Clegg DO et al. N Engl J Med 2006; 354: 795-808
- 7) Reginster JY et al. Lancet 2001; 357: 251-6
- 8) Pavelká K et al. Arch Intern Med 2002; 162: 2113-23
- 9) Towheed TE et al. Cochrane Database Syst Rev. 2007; (2): CD002946
- 10) http://www.lakemedelsverket.se/upload/Om%20LV/publikationer/Info% 20fr%20LV/Info2006_2.pdf
- 11) Ostergaard K et al. Ugeskr Laeger 2007; 169: 407-10
- 12) Scroggie DA et al. Arch Intern Med 2003; 163: 1587-90
- 13) http://www.who-umc.org/graphics/9722.pdf
Standpunkte und Meinungen
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