Betablocker bei Hypertonie

Übersicht

Betablocker werden seit den 1960-er Jahren zur Behandlung der Hypertonie eingesetzt. In den letzten Jahren wird aber ihr Nutzen als Antihypertensiva vermehrt kritisch beurteilt. Was hat es damit auf sich?

Grundlagen

Betablocker sind Medikamente mit einer antagonistischen Wirkung an adrenergen Beta-Rezeptoren. Zu ihren Gemeinsamkeiten gehört eine blutdrucksenkende Wirkung. Letztlich ist aber bis heute nicht eindeutig geklärt, welche pharmakologischen Eigenschaften der Betablocker in welchem Ausmass für die Blutdrucksenkung verantwortlich sind.

Ursprünglich wurden die Betablocker eingeführt zur Behandlung der koronaren Herzkrankheit. In der Folge gelang es denn auch, ihren Nutzen bei der Sekundärprävention nach Herzinfarkten zu belegen. Auch ihr symptomatischer Nutzen bei Angina pectoris und verschiedenen tachykarden Rhythmusstörungen ist unbestritten. Nachdem sie bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz lange als kontraindiziert gegolten hatten, wurde in den 1990-er Jahren für einige Betablocker gezeigt, dass sie auch bei dieser Indikation zu einer eindrücklichen Senkung von Mortalität und Morbidität führen können. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Indikationen, bei denen ein Nutzen einer Betablockade mehr oder weniger gut belegt ist.

Betablocker können gemass ihren pharmakologischen Eigenschaften in nicht-selektive Betablocker (Wirkung an Beta1- und Beta2-Rezeptoren) und Alpha1-selektive (kardioselektive) Betablocker eingeteilt werden. Neuere Betablocker weisen weitere, z.B. vasodilatierende Eigenschaften auf (z.B. über eine zusätzliche Blockierung von alpha1-Rezeptoren) und werden deshalb als Betablocker mit zusätzlichen Wirkungen oder auch als «Betablocker der dritten Generation» bezeichnet. Die verschiedenen Betablocker unterscheiden sich weiter hinsichtlich ihrer partiell agonistischen Wirkung an den Beta-Rezeptoren (intrinsische sympathomimetische Aktivitat, ISA), ihrer Fettlöslichkeit, ihrer Elimination und ihrem Interaktionspotential.(1)

Die heute in der Schweiz als Antihypertensiva zugelassenen Betablocker sind (mit den Namen der Originalpräparate) in der Tabelle 1 zusammengestellt.

Klinische Studien

Frühe Studien

In vier Studien, zwischen 1981 und 1992 publiziert, wurden Betablocker bei Personen mit Hypertonie ohne bekannte Komplikationen anhand harter Endpunkte mit Placebo oder «keiner Behandlung» verglichen. In einer grossen Studie des britischen «Medical Research Council» (MRC) wurden rund 8’700 Personen während durchschnittlich 5 Jahren einfachblind mit Propranolol (Inderal® u.a., bis 240 mg/Tag) oder einem Thiaziddiuretikum und gleich viele mit Placebo behandelt. Es handelte sich um Personen im Alter bis zu 64 Jahren mit einer diastolischen Hypertonie (90 bis 109 mm Hg). Gegenüber der Placebotherapie wurde gesamthaft mit der aktiven Behandlung eine signifikante Reduktion der Schlaganfälle erreicht (jährlich 1,4 Fälle auf 1000 Behandelte gegenüber 2,6 Fälle unter Placebo). Unter der aktiven Behandlung fand sich auch eine Senkung der Gesamtzahl kardiovaskulärer Ereignisse; Herzinfarkte und die Gesamtmortalität wurden jedoch nicht beeinflusst. Obwohl in beiden aktiv behandelten Gruppen eine ergänzende Behandlung mit Methyldopa (Aldomet®) erlaubt war, war der systolische Blutdruck in der mit dem Diuretikum behandelten Gruppe deutlich niedriger. Gemäss einer Subgruppenanalyse war das Diuretikum bezüglich Schlaganfall-Risiko signifikant wirksamer als der Betablocker.(2)

6’500 Männer im Alter von 40 bis 64 Jahren wurden in der «HAPPHY»-Studie randomisiert mit einem Betablocker oder einem Thiaziddiuretikum behandelt. In dieser Studie ging es um die Behandlung einer leichten bis mittelschweren diastolischen Hypertonie (100 bis 130 mm Hg); als Betablocker wurde meistens Atenolol (Tenormin® u.a., 100 mg/Tag) oder Metoprolol (Beloc® u.a., 200 mg täglich) verwendet. Zusätzlich konnten bei Bedarf weitere Antihypertensiva wie Hydralazin (Apresolin®, in der Schweiz nicht mehr im Handel) gegeben werden. Die Beobachtungsdauer betrug knapp 4 Jahre, die Blutdrucksenkung war in beiden Gruppen vergleichbar. Diese Studie ergab in Bezug auf die untersuchten harten Endpunkte (Schlaganfälle, koronare Herzkrankheit, Mortalität) keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen.(3)

Eine weitere britische Studie, wiederum einfachblind und mit Placebokontrolle, wurde während durchschnittlich knapp 6 Jahren bei 4'000 Personen im Alter von 65 bis 74 Jahren durchgeführt («MRCOA»-Studie). In diese Studie wurden Personen mit einer systolischen Hypertonie (160-209 mm Hg) aufgenommen; der diastolische Wert musste unter 115 mm Hg liegen. Behandelt wurde primär mit Atenolol oder Hydrochlorothiazid/Amilorid (Moduretic® u.a.) oder mit Placebo. Um das Behandlungsziel (ein systolischer Blutdruck von 150-160 mm Hg) zu erreichen, konnten die Dosen individuell angepasst, die Medikamente kombiniert und eventuell ergänzt werden. Dennoch lag der durchschnittliche systolische Blutdruck in der Betablockergruppe während den ersten zwei Studienjahren deutlich über demjenigen in der Diuretikagruppe. Die Betablockerbehandlung schnitt hier klar schlechter ab als das Diuretikum: In der Subgruppenanalyse ergab sich bezüglich harter Endpunkte kein signifikanter Unterschied gegenüber dem Placebo; gegenüber der Diuretikagruppe waren zudem koronare und allgemein kardiovaskuläre Ereignisse unter Betablocker signifikant häufiger.(4)

Neuere Studien

Vier Vergleichsstudien mit Kalziumantagonisten wurden seit 2002 veröffentlicht. In der grössten dieser Studien («INVEST») wurde zuerst Atenolol (initial 50 mg täglich) mit Verapamil (Isoptin® u.a., initial 240 mg retard täglich) bei 22'500 Personen mit einem Blutdruck über 140/90 mm Hg und koronarer Herzkrankheit verglichen. Ziel war ein Blutdruck unter 140/90 mm Hg, bei Diabetes oder Niereninsuffizienz unter 130/85 mm Hg. Um dieses Ziel zu erreichen, konnte in der Betablockergruppe als zweites Medikament Hydrochlorothiazid und in der Verapamilgruppe der ACE-Hemmer Trandolapril (Gopten®, 2 mg täglich) gegeben werden. Wenn auch dies nicht genügte, waren weitere Kombinationen und die Erhöhung der Dosis aller Antihypertensiva zugelassen. Im Verlaufe der zwei Beobachtungsjahre waren die Blutdruckwerte in der Verapamilgruppe etwas niedriger (Unterschied statistisch signifikant). In Bezug auf Schlaganfälle fand sich ein kleiner, nichtsignifikanter Unterschied zugunsten der Verapamilgruppe. Bezüglich Mortalität, anderen kardiovaskulären Ereignissen und Therapieabbrüchen unterschieden sich die beiden Gruppen nicht nennenswert.(5)

Grössere Unterschiede zeigte eine ähnlich grosse Teilstudie der ASCOT-Studie («ASCOT-BPLA»). Untersucht wurden 20'000 Personen mit einer Hypertonie und mindestens drei zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren. Bei Studienbeginn mussten die Blutdruckwerte unbehandelt über 160/100 mm Hg oder bei Vorbehandlung über 140/90 mm Hg liegen. In einer offenen Studienanlage wurden initial Atenolol (50 mg täglich) oder Amlodipin (Norvasc® u.a., 5 mg täglich) eingesetzt. Um das Ziel eines Blutdrucks unter 140/90 mm Hg (bzw. 130/80 mm Hg bei Diabetes) zu erreichen, konnte primär die Dosis verdoppelt und bei Ungenügen in der Atenololgruppe zusätzlich ein Thiaziddiuretikum und in der Amlodipingruppe der ACE-Hemmer Perindopril (Coversum®) gegeben werden. Während der Beobachtungszeit von median 5,5 Jahren waren die gemessenen Blutdruckwerte in der Amlodipingruppe im Durchschnitt niedriger als in der Atenololgruppe (um rund 3/2 mm Hg). Unter Amlodipin war auch die Gesamtmortalität kleiner (grenzwertig signifikant) wie auch die Zahl der Schlaganfälle (NNT=100), die Zahl der Therapieabbrüche wegen unerwünschter Wirkungen (NNT=104) und die Zahl neuer Diabeteserkrankungen (NNT=41).(6)

Direkte Vergleichsstudien mit ACE-Hemmern gibt es nur zwei kleinere, mit jeweils weniger als 1'000 Untersuchten, die bezüglich harter Endpunkte keine signifikanten Unterschiede zeigten.

Eine einzige, grosse Vergleichsstudie mit einem Angiotensin- Rezeptorblocker (Sartan) wurde im Jahr 2002 veröffentlicht («LIFE»). Untersucht wurden 9'000 Personen mit einer Hypertonie (systolisch 160 bis 200, diastolisch 95 bis 115 mm Hg) und einer linksventrikulären Hypertrophie im EKG. Die antihypertensive Therapie wurde mit Atenolol (initial 50 mg täglich) oder Losartan (Cosaar®, initial 50 mg täglich) begonnen. Um das Therapieziel (Blutdruck unter 140/90 mm Hg) zu erreichen, wurde zuerst zusätzlich Hydrochlorothiazid gegeben (12,5 mg täglich), dann die Dosis verdoppelt, und schliesslich weitere Antihypertensiva eingesetzt. Die durchschnittlichen Blutdruckwerte waren aber auch in dieser Studie in den beiden Gruppen signifikant verschieden. Während der knapp 5-jährigen Beobachtungsdauer lagen die systolischen Werte in der Losartangruppe um 1,1 mm Hg niedriger als in der Atenololgruppe. Bezüglich Gesamtmortalität fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen. Hingegen waren Schlaganfälle (NNT=59), neue Diabeteserkrankungen (NNT=23) sowie Therapieabbrüche wegen unerwünschter Wirkungen (NNT=20) signifikant seltener in der Losartangruppe.(7)

Studien, in denen die antihypertensive Behandlung mit anderen Betablockern (z.B. Carvedilol [Dilatrend® u.a.], Nebivolol [Nebilet®]) bezüglich klinisch relevanter Endpunkte untersucht worden wäre, liegen nicht vor. Ob sich diese Substanzen dank ihrer Zusatzeigenschaften nennenswert von Atenolol unterscheiden, kann deshalb nicht zuverlässig beurteilt werden.

Meta-Analysen

Wiederholt wurde auch versucht, mit Hilfe von Meta-Analysen die Frage zu klären, wie wirksam Betablocker im Vergleich mit Placebo und/oder anderen Antihypertensiva Komplikationen einer Hypertonie verhindern. Dabei muss sich bewusst sein, dass die vorhandenen Studien sehr heterogen sind und sich deshalb nur beschränkt für eine Meta-Analyse eignen.

Der Frage, wie gut die Wirksamkeit von Betablockern als Antihypertensiva bei älteren Menschen belegt ist, ging eine Meta- Analyse im Jahr 1998 nach. Verglichen wurde der gepoolte Effekt von acht Diuretikastudien mit demjenigen von zwei Betablockerstudien. Diese Methode des indirekten Vergleichs ist aus heutiger Sicht von begrenztem Wert, das Resultat entsprach aber etwa dem Ergebnis der oben beschriebenen «MRCOA»-Studie:(3) Betablocker verhindern Schlaganfälle, kardiovaskuläre Ereignisse und Todesfälle bei älteren Menschen weniger gut als Diuretika.(8)

2004 erschien die vielbeachtete Meta-Analyse einer schwedischen Gruppe. Diese beschränkte sich auf Studien, in denen Atenolol untersucht worden war, schloss aber auch Studien mit ein, in denen dieses Medikament zur Sekundärprävention nach zerebrovaskulären Ereignissen eingesetzt wurde. Für vier Vergleichsstudien von Atenolol mit Placebo ergab die Meta- Analyse zwar eine grenzwertig signifikante Reduktion der Schlaganfälle; in Bezug auf Herzinfarkte, kardiovaskuläre und allgemeine Todesfälle fand sich aber keine signifikante Reduktion. Die fünf Vergleichsstudien mit anderen Antihypertensiva zeigten zusammengenommen unter Atenolol eine höhere Zahl von Schlagänfällen und eine grenzwertig höhere kardiovaskuläre und allgemeine Mortalität. Für dieses Resultat war in erster Linie die «LIFE»-Studie verantwortlich.(9)

Die gleichen Autoren doppelten im Jahr darauf mit einer weiteren Meta-Analyse nach, in die sie nun auch Studien mit anderen Betablockern aufnahmen. Die Resultate für die Betablocker insgesamt zeigten im Vergleich mit Placebo oder «keiner Behandlung» (7 Studien) eine signifikante Reduktion der Schlaganfälle, aber lediglich einen Trend zu weniger Herzinfarkten und weniger Todesfällen. Im Vergleich mit anderen Antihypertensiva (12 Studien) waren Schlaganfälle hingegen signifikant häufiger und die Mortalität grenzwertig höher, während die Zahl der Herzinfarkte etwa vergleichbar war.(10)

Eine kanadische Gruppe unterzog die gleichen Studien einer Meta-Analyse, gruppierte sie aber nach dem Alter der Untersuchten in Studien bei jüngeren und älteren Personen (Durchschnittsalter unter bzw. über 60 Jahre). Gemäss dieser Untersuchung verhüten Betablocker bei jüngeren Personen kardiovaskuläre Ereignisse ähnlich gut wie andere Antihypertensiva, während dies bei älteren nicht der Fall ist.(11)

Im Jahr 2007 wurde auch eine Cochrane-Übersicht publiziert. Sie beschränkte sich auf Studien, in denen reine Betablockergruppen untersucht worden waren. Sie umfasste deshalb lediglich 4 Vergleichsstudien mit Placebo oder «keiner Behandlung » (23'613 Untersuchte), 5 mit Diuretika (18'241 Untersuchte), 4 mit Kalziumantagonisten (44'825 Untersuchte) und 3 mit ACE-Hemmern oder Sartanen (10'828 Untersuchte). Die Meta-Analyse zeigte keinen signifikanten Nutzen von Betablockern gegenüber Placebo oder «keiner Behandlung» bezüglich Gesamtmortalität und koronaren Ereignissen. Die Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen insgesamt und von Schlaganfällen war zwar signifikant, mit 12% bzw. 19% relativer Risikoreduktion aber vergleichsweise gering. Im Vergleich mit Diuretika war die Zahl kardiovaskulärer Ereignisse höher (Unterschied grenzwertig signifikant), wie auch die Zahl der Therapieabbrüche wegen unerwünschter Wirkungen. Gegenüber Kalziumantagonisten waren Schlaganfälle und kardiovaskuläre Ereignisse signifikant häufiger, bezüglich Mortalität war der Unterschied grenzwertig signifikant, Therapieabbrüche waren vergleichbar. Gegenüber ACE-Hemmern oder Sartanen waren Schlaganfälle und Therapieabbrüche häufiger.(12)

Interpretation

Insgesamt zeigen die vorhandenen Studien also einen zwar signifikanten, aber vergleichsweise geringen Nutzen der Betablocker als Antihypertensiva in Bezug auf das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse, insbesondere von Schlaganfällen. Ein Vorteil bezüglich koronaren Ereignissen oder der Gesamtmortalität ist nicht dokumentiert. Darüber hinaus sind Betablocker im Vergleich mit Diuretika und neueren Antihypertensiva bezüglich Verhinderung von kardiovaskulären Komplikationen weniger wirksam. Wie lassen sich diese Ergebnisse erklären?

Die naheliegendste Erklärung könnte darauf beruhen, dass mit den Betablockern fast in allen Studien eine geringere Blutdrucksenkung erreicht wurde. Bei der Synopsis der Resultate der Vergleichsstudien fällt auf, dass häufigere Schlaganfälle in der Regel mit höheren systolischen Blutdruckwerten in den Betablockergruppen vergesellschaftet waren.(12) In diesem Zusammenhang ist insbesondere bemerkenswert, dass auch in den neuen, gross angelegten Studien «LIFE» und «ASCOTBPLA » die systolischen Blutdruckwerte in den Betablockergruppen trotz gleichem Blutdruckziel signifikant höher waren. (6,7) Es ist also zumindest nicht auszuschliessen, dass eine (bewusst oder unbewusst) lascher durchgeführte Blutdruckeinstellung in den Betablockergruppen dieser beiden Studien eine schlechtere Wirksamkeit der Betablocker nur vortäuscht.

In der Literatur finden sich aber natürlich auch andere Interpretationen. Praktisch unbestritten ist, dass Betablocker als Antihypertensiva bei älteren Leuten weniger gut geeignet sind als Diuretika. Dies beruht einerseits wohl auf einer schlechteren Verträglichkeit im Alter, die häufiger zum Absetzen führt. Möglicherweise spielt aber auch eine Rolle, dass bei älteren Leuten mit Hypertonie häufig der arterielle Widerstand besonders hoch und die Herzleistung gleichzeitig vermindert ist. Bei jüngeren Menschen, bei denen sich oft eine «hyperadrenerge» Blutdruckerhöhung findet, wären die hämodynamischen Auswirkungen der Betablocker im Vergleich zu älteren Leuten aber günstiger. Verschiedene Fachleute (z.B. in den kanadischen Leitlinien) empfehlen denn auch Betablocker weiterhin als Antihypertensiva der ersten Wahl bei jüngeren Personen.(11,13)

Von Bedeutung ist ferner, dass in den Antihypertensiva- Studien mit klinischen Endpunkten fast ausschliesslich Atenolol zum Einsatz gelangt ist. Entsprechend beruhen auch die Meta-Analysen weitgehend auf Atenolol. Einige Fachleute vermuten, dass spezifische pharmakologische Eigenschaften von Atenolol (z.B. seine Hydrophilie) für die ungünstigen Resultate verantwortlich sein könnten und warnen davor, die Schlussfolgerungen auf die Betablocker als ganze Gruppe auszudehnen.(9,13,14) In Anbetracht der Tatsache, dass für andere Betablocker relevante Daten fehlen, ist es jedoch spekulativ, für diese eine bessere Wirksamkeit zu propagieren.

Ein immer wieder diskutierter Gesichtspunkt sind unerwünschte metabolische Auswirkungen von Betablockern wie Gewichtszunahme, verstärkte Insulinresistenz oder verminderte Insulinausschüttung. Solche unerwünschten Wirkungen könnten den Nutzen der blutdrucksenkenden Wirkung teilweise aufheben.(15) Die meisten Kommentierenden halten dies aber nicht (mehr) für den zentralen Punkt: Gemäss einer neueren Meta-Analyse werden unter Betablockerbehandlung zwar häufiger neue Diabeteserkrankungen beobachtet, insbesondere im Vergleich mit ACE-Hemmern und Sartanen. Das trifft für Diuretika aber in mindestens ebenso starkem Mass zu.(16) Die Diuretika haben sich dennoch auch in neueren Studien sehr gut als Antihypertensiva der ersten Wahl bewährt. Eine Blutdruckbehandlung, die mit einem niedrig dosierten Diuretikum begonnen wird, ist gemäss heutigen Erkenntnissen einer Behandlung mit einem moderneren Antihypertensivum bezüglich harter Endpunkte (trotz negativer metabolischer Wirkungen) mindestens ebenbürtig.(17)

Als weitere mögliche Erklärung wird von einigen Fachleuten angeführt, dass Betablocker wie Atenolol den peripher gemessenen Blutdruck zwar in ähnlichem Ausmass, den Druck in der Aorta aber weniger stark senken würden als andere Antihypertensiva. Auch beeinflussten sie die linksventrikuläre Masse und endotheliale Gefässfunktionen weniger günstig als andere Antihypertensiva. Sie bezeichnen Betablocker deshalb als «Pseudo-Antihypertensiva». Es handelt sich dabei aber um Beobachtungen von Surrogat-Endpunkten, deren klinische Bedeutung naturgemäss schwierig einzuschätzen ist.(15)

Schlussfolgerung

Sind Betablocker die schlechteren Antihypertensiva? Trotz 30 Jahren Forschung und einem halben Dutzend Meta- Analysen lässt sich die Frage nicht schlüssig beantworten. Die vorhandenen Studien sind in ihren Ergebnissen zu wenig klar. Methodische Schwächen in einzelnen Studien könnten eine Unterlegenheit von Betablockern nur vortäuschen. Nicht wegzudiskutieren ist hingegen die Tatsache, dass ein relevanter Nutzen von Betablockern bei der Behandlung der Hypertonie insgesamt schlecht dokumentiert ist. Andere Antihypertensiva, insbesondere die Diuretika, sind besser dokumentiert. Damit haben Betablocker nach der übereinstimmenden Meinung der meisten Fachgremien ihren generellen Status als Antihypertensiva der ersten Wahl eingebüsst.
Ob sie weiterhin als Mittel der ersten Wahl bei jüngeren Leuten gelten sollen, ist umstritten. In der Praxis spielt dies allerdings keine so wesentliche Rolle mehr. Neben den Diuretika stehen heute auch vergleichsweise preisgünstige ACEHemmer und Kalziumantagonisten zur Verfügung.
Im Rahmen einer individualisierten Blutdruckbehandlung können Betablocker natürlich weiterhin auch primär als Antihypertensiva eingesetzt werden. Dies ist in besonders ausgeprägtem Ausmass der Fall bei Personen, die an einer koronaren Herzkrankheit oder an einer Herzinsuffizienz leiden. Dabei ist zu beachten, dass für die letztere Indikation namentlich Metoprolol, Bisoprolol (Concor® u.a.) und Carvedilol gut dokumentiert sind. Es gibt auch Stimmen, die warnen, «das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten». Es wäre verfehlt, gut tolerierte Betablockerbehandlungen bei Hypertonikern jetzt generell abzusetzen oder umzustellen.18 Sofern ein Absetzen in Betracht gezogen wird, so ist auf alle Fälle daran zu denken, dass das abrupte Absetzen einer Betablockertherapie gefährlich sein kann und insbesondere das Risiko koronarer Ereignisse ansteigen lässt.

Standpunkte und Meinungen

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Betablocker bei Hypertonie (2. September 2008)
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