Amalgamplomben

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Seit Jahren wird über mögliche Probleme diskutiert, die von Amalgamplomben ausgelöst sein könnten. In unserer Zeit-schrift wurde das Thema bisher nie behandelt. Im Mai 2008 wurde dazu in «La Revue Prescrire» eine Zusammenfassung des aktuellen Wissens veröffentlicht. Im Gegensatz zu vielen anderen Publikationen zum Thema «Amalgam» handelt es sich um einen sehr sachlichen und gut dokumentierten Text,(1) der hier – mit einigen Ergänzungen für die Schweiz – zusammengefasst wird.

Quecksilber und Quecksilberexposition

Seit über 150 Jahren wird Quecksilber in der Zahnheilkunde verwendet. Mit verschiedenen anderen Metallen amalgamiert, bildet es eine feste kristalline Masse, die sich zur Füllung von Zahndefekten eignet. Quecksilber, ein Schwermetall, akkumuliert sich im Körper und ist toxisch für das Nervensystem und die Nieren. Entsprechende Gefahren sind bekannt für zahnärztlich Tätige und für Personen, die Quecksilberabfälle entsorgen. Ob das in geringen Mengen aus Zahnplomben freigesetzte Quecksilber von gesundheitlicher Bedeutung ist, wird jedoch kontrovers beurteilt.

Noch vor wenigen Jahren war die Menge Quecksilber, die für Amalgamplomben verwendet wurde, sehr beträchtlich. So wurden im Jahr 2003 in Frankreich rund 14 Tonnen Quecksilber für Zahnplomben verwendet. (Für die Schweiz liegen keine allgemein bekannten Verbrauchsdaten vor.)

Mehrere Mechanismen führen dazu, dass aus den Amalgam-plomben Quecksilber freigesetzt wird: mechanische Belastung (Kauen, Zahnreinigung), chemische Reaktionen (z.B. mit Nahrungsmitteln), «elektrische» Reaktionen (mit anderen Metallen) und thermische Effekte (z.B. heisse Getränke). Obwohl nur rund 15% des freigesetzten Quecksilbers in den systemischen Kreislauf gelangen, stellen Amalgamplomben eine der wichtigsten Quellen der Quecksilberbelastung dar. Gemäss einer nordamerikanischen Untersuchung beträgt die durchschnittliche Quecksil-ber-Aufnahme 17,6 µg pro Tag, wobei gegen 10 µg aus den Amalgamplomben stammen sollen.(2) Diese Werte sind deutlich niedriger als die von der WHO festgelegte «akzeptable» Quecksilber-Belastung (40 µg/Tag). In einzelnen Fällen kann die Be-lastung allerdings sehr nahe an diesem Grenzwert liegen.(3)

Quecksilber kann im Körper namentlich in den Nieren nachgewiesen werden. Auch im Gehirn, in der Plazenta und in der Muttermilch findet sich Quecksilber. Die autoptisch nachgewiesene Quecksilbermenge in den Nieren und im Gehirn ist umso höher, je mehr Amalgamplomben ein Individuum hatte.(4)

Zusammenhang mit Erkrankungen?

In verschiedenen Studien wurde untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen wiederholten kleinen Quecksilberdosen und pathologischen Veränderungen bestehen könnte. Diese Untersuchungen haben widersprüchliche Resultate ergeben; auch wird oft unterstrichen, dass diese Studien methodologisch ungenügend seien.(5,6) Immerhin gilt als einigermassen erwiesen, dass lokale lichenoide Reaktionen auf der Mundschleimhaut bei Personen mit einer «Quecksilberallergie» häufiger sind als in der Bevölkerung allgemein.

Was die Auswirkungen auf die Niere anbelangt, konnte in einer grossen Kohortenstudie nicht nachgewiesen werden, dass Amalgamplomben mit Nierenerkrankungen assoziiert wären. In zwei randomisierten Studien wurden Kinder mit Amalgamplomben und solche mit Kompositfüllungen verglichen. Obwohl die Quecksilber-Exkretion in den Amalgamgruppen (über 5 bis 7 Jahre zeitweise signifikant) höher war als in den Kompositgruppen, fanden sich keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion.(7,8)

Berichten von Einzelfällen mit dramatischen Verbesserungen von neurologischen Erkrankungen nach Entfernung der Amalgamplomben stehen die Resultate epidemiologischer Studien gegenüber, die keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Amalgamplomben und neurodegenerativen Krankheiten zeigen. In einzelnen Studien bei Alzheimer-Kranken wurden erhöhte Quecksilberspiegel im Blut und im Gehirn gefunden, in anderen Studien konnte kein solcher Zusammenhang gezeigt werden. Unklar ist auch, ob die multiple Sklerose und die Parkinson-Krankheit bei Quecksilber-belasteten Personen häufiger sind. Ob bei einzelnen Personen neurologische Erkankungen durch Amalgamplomben gefördert werden können, ist weiterhin hypothetisch.

In mehreren Studien wurde nach einem Zusammenhang zwischen Amalgamplomben und einer ungünstigen Entwicklung des Verhaltens und kognitiver oder motorischer Funktionen bei Kindern gesucht. Signifikante Unterschiede gegenüber Kindern mit Kompositplomben konnten in den beiden bereits erwähnten Studien nicht gefunden werden.(7,8) Damit lassen sich jedoch eventuelle individuelle Empfindlichkeiten nicht ausschliessen. Auch zur sogen. Amalgamkrankheit – Asthenie, Depression, Gelenk- oder Muskelschmerzen, Kopfschmerzen u.a. – liefern die vorhandenen Studien keine Gewissheit. Der Vergleich von Personen mit solchen Beschwerden mit beschwerdefreien Personen, die eine gleich grosse Zahl Amalgamplomben haben, ergibt keine signifikanten Unterschiede bezüglich Quecksilberspiegel im Blut, Urin oder Speichel und auch keine Hinweise auf eine häufigere Amalgamallergie in der Gruppe mit Beschwerden. Gemäss einer systematischen Übersicht lässt sich keine Beschwerdeverbesserung nach Entfernung der Amalgamplomben objektivieren.(9)

Eine aktuelle Hypothese propagiert, es existiere eine genetisch determinierte Überempfindlichkeit auf das Quecksilber im Amalgam. Für diese Hypothese gibt es aber zur Zeit keine wissenschaftliche Basis.

Empfehlungen

Es ist offensichtlich schwierig, einen Zusammenhang zwischen Amalgam-Zahnfüllungen und gesundheitlichen Problemen eindeutig nachzuweisen oder zweifelsfrei zu widerlegen. Indirekte Vergleiche, Extrapolationen und unterschiedliche Überlegungen führen zu widersprüchlichen Argumenten. Die Gesundheitsbehörden verschiedener Länder nehmen deshalb recht divergierende Standpunkte ein. Nur in Norwegen wurde bisher ein vollständiges Verbot der Verwendung von Amalgam ausgesprochen. In anderen europäischen Ländern wird empfohlen, den Einsatz von Quecksilberamalgam einzuschränken, wobei in erster Linie Umweltschutz-Argumente ins Feld geführt werden. (In der Schweiz existieren offenbar keine besonderen Empfehlungen in dieser Hinsicht.) Besonders Personen, die auf Quecksilber allergisch sind, schwangere und stillende Frauen, Nierenkranke und Kinder sollten nicht mit Amalgamplomben behandelt werden. Da bei der Entfernung von Amalgam eventuell hohe Quecksilberspiegel auftreten können, sollte ein solcher Eingriff nicht bei schwangeren Frauen erfolgen. Verschiedene Organisationen haben im November 2007 einen Appell veröffentlicht (sogen. Luxemburger Appell), der dazu aufruft, weltweit kein Quecksilberamalgam für Zahnfüllungen mehr zu verwenden.(10) Die Welt-Zahnärzteorganisation steht jedoch einem allgemeinen Verbot eher skeptisch gegenüber.(11)

Als Alternative zur Verwendung von Amalgam stehen mehrere andere Füllmaterialien (Komposite, Glasionomere, Kompomere) zur Verfügung. Auch diese setzen gewisse Stoffe frei. Zur Zeit ist es kaum möglich, zuverlässige Aussagen zur langfristigen Verträglichkeit dieser Materialien zu machen.

Standpunkte und Meinungen

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Amalgamplomben (22. September 2008)
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pharma-kritik, 30/No. 6
PK232
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