Nebenwirkungen aktuell

RIMONABANT

Rimonabant, ein selektiver Cannabinoid 1-Rezeptor-Antagonist, führt über eine zentrale Wirkung zu vermindertem Appetit und über eine periphere Wirkung zu einer verstärkten Insulin-Empfindlichkeit und Fettsäureoxidation. Wegen dieser Eigenschaften wurde es als gewichtsreduzierendes Mittel bei Adipositas empfohlen.

Informationen zu Rimonabant:

Masche UP. pharma-kritik 2007; 29: 7-8
Patel PN, Pathak R. Am J Health Syst Pharm 2007; 64: 481-9 (Medline)
Rucker D et al. BMJ 2007; 335: 1194-9 (Medline)

Markenname: Rimonabant = Acomplia®


Angst und Depressivität

In einer Metaanalyse fasste man die vier Hauptstudien zusammen, mit denen die gewichtsreduzierende Wirkung von Rimonabant dokumentiert worden war. In diesen Untersuchungen hatte man mit Hilfe eines Fragebogens («Hospital Anxiety and Depression Scale», HADS) auch Angst- und Depressionssymptome erfasst, so dass diese Resultate in die Metaanalyse einfliessen konnten. Gemäss HADS traten Angstsymptome bei Rimonabant signifikant stärker hervor als bei Placebo; hinsichtlich Depressivität ergab sich kein signifikanter Unterschied. Ging man von der Ausfallquote aus – Patienten und Patientinnen, bei denen man die Behandlung wegen Nebenwirkungen hatte unterbrechen müssen –, fiel das Ergebnis sowohl bei Angst als auch Depressivität zu Ungunsten von Rimonabant aus.

Christensen R et al. Lancet 2007; 370: 1706-13 (Medline)

Marktrückzug

Eine Überprüfung der vorliegenden Daten hat ergeben, dass psychiatrische Nebenwirkungen wie Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und Aggressivität bei Rimonabant ungefähr doppelt so häufig vorkommen wie bei Placebo; vereinzelt haben sich auch Suizide ereignet. Ferner wurde festgestellt, dass Patienten und Patientinnen dazu neigen, die Behandlung mit Rimonabant relativ schnell zu beenden, und die Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen geringer ist, als es die Studienresultate vermuten liessen. Als Quintessenz ist deshalb von einem schlechteren Nutzen-Risiko-Verhältnis auszugehen als ursprünglich angenommen, weshalb die Zulassung von Rimonabant in der Schweiz und anderen europäischen Ländern sistiert wurde.

Dokument der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA (Oktober 2008):
http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/acomplia/53715308en.pdf

Dass Rimonabant vom Markt genommen werden musste, kam nicht ganz überraschend, denn schon bei der Einführung des Mittels waren die psychiatrischen Nebenwirkungen ein Thema. Appetitzügler sind eine Medikamentengruppe, die fast ausnahmslos durch negative Schlagzeilen auffällt: Rimonabant scheint mit dem Rückzug dasselbe Schicksal zu ereilen wie Aminorex in den 1960er- sowie Fenfluramin und Dexfenfluramin in den 1990er-Jahren, denen schwere Nebenwirkungen zum Verhängnis wurden. Als einziger erhältlicher Vertreter bleibt momentan Sibutramin (Reductil®), das man aber sicher auch nicht als unbedenkliche Substanz bezeichnen wird.

ARIPIPRAZOL

In der Gruppe der atypischen Neuroleptika zeichnet sich Aripiprazol dadurch aus, dass es an dopaminergen D2 Rezeptoren als partieller Agonist wirkt, was das Risiko gewisser Nebenwirkungen mindern soll. Allerdings gibt es noch zuwenig klinische Daten, die einen Vorteil von Aripiprazol gegenüber den anderen neueren Neuroleptika belegen würde.


Übersichten zu Aripiprazol:

Frei A. pharma-kritik 2004; 26: 34-6
Anon. Med Lett Drugs Ther 2005; 47: 81-2 (Medline)
El-Sayeh HG, Morganti C. Cochrane Database Syst Rev 2006; (2): CD004578 (Medline)
Bhattacharjee J, El-Sayeh HG. Cochrane Database Syst Rev 2008; (3): CD006617 (Medline)

Markenname: Aripiprazol = Abilify®

Diabetische Ketoazidose


Eine 34-jährige Frau suchte die Notfallstation auf, nachdem sie seit 3 bis 4 Tagen unter Malaise, Übelkeit und Erbrechen gelitten hatte. Als Diagnosen waren ein Typ-2-Diabetes bekannt, der mit Metformin (Glucophage® u.a., 2-mal 1000 mg/Tag) und Rosiglitazon (Avandia®, 1-mal 4 mg/Tag) bislang gut eingestellt war, sowie eine Schizophrenie, die mit Olanzapin (Zyprexa®, 1-mal 20 mg/Tag) und seit 4 Tagen zusätzlich mit Aripiprazol (1-mal 30 mg/Tag) behandelt wurde. Als weiteres Mittel war Diazepam (Valium® u.a., 5 mg/Tag) verschrieben.
Bei Eintritt fanden sich eine schwere Hyperglykämie (32 mmol/l) und eine metabolische Azidose. Im Serum konnten Aceton und im Urin Ketonkörper nachgewiesen werden. Leukozytenzahl, Lipase- und Amylaseaktivität waren normal. Ein Schwangerschaftstest und die Bestimmung der Herzinfarkt-Marker ergaben negative Resultate. Bei der Sonographie des Abdomens und des Beckens wurde kein abnormer Befund entdeckt. Es wurde die Diagnose einer diabetischen Ketoazidoe gestellt, und nach Flüssigkeitsersatz und einer intensiven Insulintherapie konnte die Patientin – nun unter einer zweimal täglichen Insulininjektion – ein paar Tage später entlassen werden.
Als Ursache der Blutzuckerentgleisung wurde die Zugabe von Aripiprazol angesehen, die kurz vor dem Auftreten der Symptome erfolgt war.

Church CO et al. Diabet Med 2005; 22: 1440-3 (Medline)

Ein 44-jähriger Mann, bei dem seit 16 Jahren eine schizoaffektive Störung bestand, hörte «Stimmen aus einer anderen Welt» und wurde in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Vor Eintritt hatte er keine Medikamente genommen, und ausser einer Hyperlipidämie waren keine anderen Krankheiten ausgewiesen. Man begann eine Behandlung mit Fluphenazin (Dapotum®, 2-mal 5 mg/Tag) und Valproinsäure (Depakine® u.a., 1750 mg/Tag). Weil er nach knapp 4 Wochen weiterhin akustische Halluzinationen angab, verschrieb man zusätzlich Aripiprazol, dessen Tagesdosis man bis auf 30 mg steigerte. Überdies hatte man unterdessen das Anticholinergikum Benztropin (in der Schweiz nicht mehr erhältlich) und Atorvastatin (Sortis®) verordnet. Gut 2 Wochen nach Beginn von Aripiprazol trat eine Urininkontinenz auf. Einen Tag später verweigerte der Patient die Nahrungsaufnahme. Er wurde schläfrig und verwirrt, und es entwickelte sich eine zunehmende Schwäche der Arme. Der Blutzuckerspiegel lag bei 45 mmol/l, die Plasmaosmolalität war erhöht (359 mosm/kg), und die arterielle Blutgasanalyse wies auf eine metabolische Azidose hin. Valproinsäurespiegel und kardiale Marker waren normal bzw. nicht signifikant erhöht. Mit der Diagnose einer diabetischen Ketoazidose wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt und entsprechend behandelt. 4 Monate nach Entlassung war er immer noch insulinbedürftig.

Makhzoumi ZH et al. Pharmacotherapy 2008; 28: 1198-1202 (Medline)

Eine diabetische Ketoazidose wurde auch bei einem 12-jährigen Knaben diagnostiziert, der wegen Polyurie und Polydipsie, Reizbarkeit sowie einer Verhaltensänderung auf die Notfallstation gekommen war. Als Grundleiden bestand eine nicht einstellbare Epilepsie mit Intelligenzminderung. Zur Behandlung von Stimmungsschwankungen war ungefähr ein halbes Jahr zuvor Aripiprazol eingesetzt worden.

Dhamija R, Verma R. Diabetes Care 2008; 31: e50 (Medline)

Orthostase und Arrhythmie

Eine 46-jährige Frau – HIV-positiv, aber mit nicht nachweisbarem «viral load» und einer CD4-Zahl von über 600/µl – klagte über allgemeine Schwäche, Müdigkeit und Gewichtsverlust. Wegen einer Herzfrequenz von 170/min wurde sie in die Notfallstation eingewiesen. Dort eröffnete sie, dass im letzten halben Jahr pro Monat 10 bis 15 synkopale Ereignisse aufgetreten seien, jeweils unabhängig von einer Anstrengung, einige Sekunden dauernd und zum Teil von Palpitationen begleitet; man habe dann einen Kipptischtest durchgeführt und die Diagnose einer neurokardialen Synkope gestellt. In der Notfallstation wurde via EKG eine intermittierende supraventrikuläre Tachykardie mit einer Frequenz um 150/min festgestellt. Mit Vagus-Manövern und der Gabe von Diltiazem (Dilzem® u.a.) konnte die Tachykardie unterbrochen werden. Anschliessend fand eine elektrophysiologische Abklärung statt, bei der sich eine Vorhoftachykardie mit wechselnder Überleitung zeigte. Zum Zeitpunkt der Hospitalisation nahm die Frau keine antiretroviralen oder anderen Mittel, die Zytochrome beeinflussen. Als wahrscheinlichste Ursache der Beschwerden sah man Aripiprazol, das die Frau wegen einer bipolaren Störung mit manischen Schüben seit 8 Monaten bekam. Nach Absetzen des Neuroleptikums und unter Fortführen der Diltiazem-Therapie war sie von keinen weiteren Synkopen oder Palpitationen mehr geplagt.

Torgovnick J et al. Psychiatry Clin Neurosci 2008; 62: 485 (Medline)

Extrapyramidale Störungen

Bei einem jungen Mann, der sich nach einem Schädel-Hirn-Trauma in einer Rehabilitationsklinik eingefunden hatte, waren neben leichten kognitiven und kommunikativen Störungen auch Verfolgungswahn, akustische Halluzinationen und andere psychotische Symptome vorhanden. Vor über 3 Monaten hatte man deshalb mit Risperidon (Risperdal®) begonnen, das bei Bedarf mit Chlorpromazin (Chlorazin®) ergänzt wurde. Wegen ungenügender Wirkung wurde nun Risperidon durch Aripiprazol ersetzt. Rund 2 Wochen später bemerkte man beim Patienten periorale Dyskinesien sowie unwillkürliche Zungen-, Saug- und seitliche Kieferbewegungen. Auch eine Akathisie wurde beobachtet. Deshalb wurde Aripiprazol am 26. Behandlungstag gestoppt. Innerhalb von 6 Tagen verschwand die Akathisie vollständig, und auch die Dyskinesien besserten sich allmählich. Zur neuroleptischen Behandlung wurde anschliessend Quetiapin (Seroquel®) verwendet, ohne dass es zu einem Rückfall der Dyskinesien oder der Akathisie gekommen wäre.

Zaidi SH, Faruqui RA. Brain Inj 2008; 22: 99-102 (Medline)

Eine 54-jährige Patientin mit einer bipolaren Erkrankung stand seit 25 Jahren unter Lithium (Quilonorm® u.a.). Dazu hatte man ihr in den letzten 3 Jahren verschiedene atypische Neuroleptika verschrieben: Risperidon, Olanzapin, Amisulprid (Solian®) und zuletzt Aripiprazol. Grund für die Medikamentenwechsel waren Gewichtszunahme und andere Nebenwirkungen gewesen. Unter Aripiprazol entwickelte sich rasch ein akinetisch-hypertones Parkinsonsyndrom mit Zittern an den Armen und Steifigkeit an allen vier Extremitäten, was die Selbständigkeit beim Bewegen und beim Essen behinderte. Später kam noch eine Dystonie im Gesicht und an anderen Stellen hinzu. Die Symptome wurden der Aripiprazol-Behandlung zugeschrieben. Man setzte das Mittel ab und verabreichte Trihexyphenidyl (Artane®, in der Schweiz nicht mehr im Handel) sowie wiederum Olanzapin. Es brauchte 3 Monate, bis die extrapyramidalen Störungen und die psychotischen Symptome verschwunden waren. Leider war die Patientin auch wieder von einer Appetitzunahme betroffen.

Koener B et al. Am J Psychiatry 2007; 164: 1437-8 (Medline)

Eine Frau war seit 20 Jahren mit verschiedenen Neuroleptika behandelt worden. Nach dem Wechsel auf Aripiprazol traten Dyskinesien auf, die im Gesicht begannen und sich über den ganzen Körper ausbreiteten. Einige Monate später bemerkte man eine generalisierte Chorea. Aripiprazol wurde durch Olanzapin ersetzt, was aber die Chorea massiv verstärkte, so dass man eine Hospitalisation veranlasste. Bei der neurologischen Untersuchung wurden orolinguale Dyskinesien, eine generalisierte Chorea, Gangunsicherheit und motorische Impersistenz festgestellt. Ausser den Medikamenten liess sich keine andere Ursache für die Chorea identifizieren. Nach Absetzen von Olanzapin und Verabreichung von Tetrabenazin (einem in der Schweiz nicht erhältlichen Mittel gegen Chorea) verschwand die Chorea langsam.

Soleti F et al. Mov Disord 2008; 23 (Suppl 1): S239-40 (kein Abstract)

In einem kurzen Bericht werden vier Fälle von Bewegungsstörungen erwähnt, die sich unter Aripiprazol entwickelt haben: in zwei Fällen handelte es sich um ein Parkinsonsyndrom, in den beiden anderen um eine tardive Dystonie bzw. Dyskinesie. Aufgrund dieser Beobachtungen vermuten die Autoren und Autorinnen, dass Aripiprazol häufiger als andere atypische Neuroleptika mit solchen Bewegungsstörungen assoziiert sei.

Aia PG et al. Mov Disord 2008; 23 (Suppl 1): S239 (kein Abstract)

Als eine besondere Form extrapyramidaler Störungen kennt man das Rabbit-Syndrom, das durch kauende und lippenspitzende orofaziale Bewegungen gekennzeichnet ist, wie man sie vom Kaninchen kennt. Als Beispiel wird eine 35-jährige Frau geschildert, die sich nach einer 3-monatigen Behandlung mit Aripiprazol (zuletzt 15 mg/Tag) an nicht zu kontrollierenden Lippenbewegungen störte; sie beschrieb diese, als würde sie Küsse verschicken. Nach einer Dosisreduktion von Aripiprazol auf 10 mg/Tag und der Verabreichung von Biperiden (Akineton®, 4 mg/Tag) bildeten sich diese Lippenbewegungen zurück.

Gonidakis F et al. Schizophr Res 2008; 103: 341-2 (Medline)

Da sich in der Literatur weitere Fälle finden, in denen extrapyramidale Bewegungsstörungen beschrieben werden, dürfte es sich um ein nicht zu unterschätzendes Problem von Aripiprazol handeln. Auch die anderen Berichte lassen bezweifeln, dass Aripiprazol – obschon es sich vom Wirkmechanismus von anderen anderen atypischen Neuroleptika etwas unterscheidet – wegen einer besseren Verträglichkeit zu würdigen wäre.

ISOTRETINOIN

Isotretinoin ist für die lokale und systemische Therapie der Akne zugelassen und wird auch für andere schwere Hauterkrankungen verwendet. Wie alle Retinoide ist es stark teratogen und erfordert entsprechende Vorsichtsmassnahmen. Isotretinoin wurde bereits vor fünf Jahren in einer Nebenwirkungsnummer behandelt.

Neuere Texte, welche die Anwendung von Isotretinoin beleuchten:

Goldsmith LA et al. J Am Acad Dermatol 2004 Jun; 50: 900-6 (Medline)
Anon. Treat Guidel Med Lett 2008; 6: 75-82 (Medline)

Markenname: Isotretinoin = Roaccutan® u.a.


Nachtblindheit

Eine 21-jährige Studentin liess ihre Akne zunächst mit einem lokalen Erythromycin-Präparat und kombinierten Kontrazeptivum behandeln, danach mit Isotretinoin (20 mg/Tag). Nach 2-wöchiger Isotretinoin-Therapie bemerkte sie eine starke Verschlechterung des Nachtsehens; das Medikament wurde aber erst nach 2 weiteren Wochen abgesetzt. Bei der ophthalmologischen Untersuchung fand man eine ausgeprägte Myopie, wobei aber der Visus nach Korrektur normal war. Indessen zeigte sich beim Ganzfeld-Elektroretinogramm eine Störung in der skotopischen Reizantwort, was auf eine Beeinträchtigung der Stäbchenfunktion hinwies. Die Konzentration von Vitamin A und des Retinol-bindenden Proteins waren normal. 4 Monate nach Ende der Isotretinoin-Einnahme hatte sich die Nacht-Sehfähigkeit erholt und das Elektroretinogramm normalisiert. Auch die Akne hatte durch die kurzfristige Isotretinoin-Gabe eine Besserung erfahren.

Halpagi P et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2008; 22: 893-4 (Medline)

Kurzsichtigkeit

Bei einer an Akne leidenen Frau trat 20 Tage nach Beginn einer Isotretinoin-Behandlung (40 mg/Tag) eine plötzliche Abnahme der Sehschärfe auf, und zwar konnte sie die Verkehrsschilder nicht mehr exakt erkennen, was noch ein Tag vorher problemlos möglich gewesen sei. Ein Augenarzt stellte eine beidseitige Myopie von 1,5 bzw. 0,5 Dioptrien fest; eine andere Auffälligkeit – zum Beispiel in Form einer Schleimhautaffektion an den Augen - bestand nicht. Obschon von der Frau befragt, negierte der Ophthalmologe einen Zusammenhang mit der Isotretinoin-Therapie. Nach 2-monatiger Behandlung entschloss sich dann der Dermatologe, mit Isotretinoin aufzuhören. Allerdings hatte sich die Kurzsichtigkeit auch 13 Monate später nicht zurückgebildet; dies steht im Gegensatz zu ähnlichen Fällen, bei denen die Sehschärfe nach dem Absetzen von Isotretionoin zurückkehrte.

Martínez-González MC et al. J Eur Acad Dermatol Venereol 2007; 21: 977-8 (Medline)

Sehstörungen

Eine 39-jährige Frau beklagte sich über eine Sehstörung, die sich in wechselnder Intensität den ganzen Tag über manifestierte, über einen vorübergehenden partiellen Gesichtsfeldausfall, über trockene Augen sowie über gerötete, geschwollene und sich schälende Haut im Gesicht und an den Lippen. Bei der Spaltlampen-Untersuchung wurde eine Hyperämie der Konjunktiva, eine punktförmige Anfärbung der Kornea und eine Lidschwellung entdeckt sowie eine Dysfunktion der Meibom’schen Drüsen diagnostiziert. Gemäss Snellen-Tafel war die Sehschärfe vermindert, wobei allerdings keine signifikante Änderung gegenüber einer Voruntersuchung bestand. Ferner liess sich eine veränderte Kornea-Topographie demonstrieren. Während der ophthalmologischen Untersuchung kam es zu einer «Verdunkelung» im rechten Auge. Als man daraufhin mit der Patientin einen Amsler-Test durchführte, erklärte sie zunächst, sie könne das ganze Gitter nicht erkennen; in den folgenden 5 Sekunden wurde der infero-nasale Quadrant des Gitters wieder sichtbar, nach weiteren 5 Sekunden das ganze Gitter. Eine eingehende Untersuchung des zentralen Gesichtsfeldes 30 Minuten später ergab keinen pathologischen Befund. Seit 7½ Wochen hatte die Frau – als einziges Medikament – wegen einer Akne Isotretinoin (2-mal 20 mg/Tag) genommen. Das Mittel wurde nun gestoppt, und innerhalb von 6 Wochen waren alle Symptome verschwunden. Kurze Zeit darauf entwickelte sich am linken Unterlid noch eine Konjunktivitis mit einer Riesenpapille, die mit einer lokalen Steroidbehandlung zur Abheilung gebracht werden konnte.

Santodomingo-Rubido J et al. Ophthalmic Physiol Opt 2008; 28: 497-501 (Medline)

Pseudotumor cerebri

Bei einem 16-jährigen Mädchen, das seit 2 Wochen Kopf- und starke Muskelschmerzen hatte, wurde vom Hausarzt, basierend auf dem Nachweis von heterophilen Antikörpern, eine Mononukleose diagnostiziert. Da jedoch weder Fieber, Halschmerzen noch eine Lymphadenopathie vorhanden waren, wurde eine Zweitbeurteilung bei einem Infektiologen veranlasst. Dieser wollte sich nicht auf eine Mononukleose festlegen, sondern vermutete einen psychosomatischen Hintergund, weil der Vater des Mädchens wegen eines Melanoms gerade unter einer Chemotherapie stand. Nach 4 Tagen war noch keine Besserung eingetreten, und das Mädchen erwähnte, dass Doppelbilder aufgetreten seien. Es wurde eine ophthalmologische Untersuchung veranlasst, bei der ein Papillenödem entdeckt wurde. Das Resultat der anschliessenden Schädel-Computertomographie war normal, wogegen bei der Lumbalpunktion ein erhöhter intrakranieller Druck festgehalten wurde. Wie sich herausstellte, hatte das Mädchen bis vor etwa einem Monat wegen Akne Isotretinoin genommen, bei dem eine Erhöhung des Schädelinnendrucks als seltene Nebenwirkung aufgeführt ist. Nach einer adäquaten Behandlung verloren sich die Symptome nach einigen Monaten.

Dylewsky J. Infect Dis Clin Pract 2008; 16: 276 (kein Abstract)

Vaskulitis und Glomerulonephritis

Ein Jüngling mit einer schweren zystischen Akne wurde nach 8-wöchiger Isotretinoin-Behandlung mit einem petechialen Hautausschlag an den Beinen, gastrointestinalen Beschwerden, Arthralgien, Nasenbluten und Nachtschweiss hospitalisiert. Im Spital bemerkte man auch eitrige Granulome im Brustbereich. Unter den verschiedenen Laborveränderungen waren die Hypoalbuminämie und die ausgeprägte Proteinurie sowie die granulierten Zylinder, Leukozyten und Erythrozyten in der Urinmikroskopie am auffälligsten. Man stellte die Diagnose einer leukozytoklastischen Vaskulitis und einer rasch progredienten IgA-Glomerulonephritis. Man setzte Isotretinoin sofort ab und begann eine Immunsuppression mit intravenösem Methylprednisolon (Solu-Medrol®), die anschliessend auf Mycophenolsäure (CellCept® u.a.) umgestellt wurde. Wegen der Granulome wurde Clobetasol-Salbe (Dermovate®) verschrieben.

Odedra BJ et al. Br J Dermatol 2008; 159 (Suppl 1): 18 (kein Abstract)

Ophthalmologische Nebenwirkungen sind zwar in der Packungsbeilage von Isotretinoin beschrieben; doch man ist sich wohl zu wenig bewusst, dass dieses Medikament mannigfache Komplikationen an den Augen verursachen kann, wobei offenbar praktisch alle Strukturen oder Funktionen betroffen sein können. Auch das Beispiel der Vaskulitis mahnt uns daran, dass es neben der Teratogenität weitere gute Gründe gibt, die Indikation für Isotretinoin streng zu halten.

Standpunkte und Meinungen

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Nebenwirkungen aktuell (20. April 2009)
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pharma-kritik, 30/No. 14
PK242
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