Hormone nach der Menopause

Übersicht

Dass Frauen während und in den Jahren nach der Menopause von einer Östrogensubstitution profitieren, ist eine seit langem bekannte Tatsache. Hitzewallungen, Schweissausbrüche und die Veränderungen der urogenitalen Schleimhäute lassen sich durch regelmässige Zufuhr von Östrogenen zuverlässig verhindern.
Nun sind aber in den letzten Jahre verschiedene Studien veröffentlicht worden, die auf einen weit bedeutsameren Nutzen einer Östrogensubstitution nach der Menopause hinweisen. Frauen, die in diesem Lebensabschnitt Östrogene erhalten, erkranken möglicherweise viel seltener an einer koronaren Herzkrankheit als Frauen, die keine Hormone einnehmen. Die grösste und bisher wichtigste Studie betrifft eine Kohorte von rund 60'000 amerikanischen Krankenschwestern, die Nurses’ Health Study, gemäss der Frauen während den ersten zehn Jahren einer Östrogenbehandlung ein um etwa 50% reduziertes Risiko hatten, an einem Herzinfakt zu sterben.(1)
Andere Untersuchungen lassen vermuten, dass Östrogene osteoporosebedingte Frakturen verhindern und vielleicht noch weitere Vorteile aufweisen. So sollen sich unter den mit Östrogenen Behandelten weniger Frauen mit Depression, Demenz und Gelenkproblemen finden.
Für viele Fachleute sind die Vorteile der Östrogene so offensichtlich, dass mögliche Nachteile wie ein erhöhtes Krebsrisiko und Unannehmlichkeiten wie regelmässige oder unregelmässige Blutungen als vernachlässigbar erscheinen. Dies ist insbesondere in der Schweiz der Fall, während im englischen Sprachbereich die Hormonsubstitution oft kontrovers diskutiert wird.
Tatsächlich ist es aber auch heute noch eine Minderheit der Frauen, die postmenopausal über längere Zeit Hormone anwendet. Ganz so einfach ist eben der Entscheid, während Jahren Hormone zuzuführen, weder für die betroffene Frau noch für ihre Ärztin oder ihren Arzt. Mit dem folgenden Fragenkatalog wird versucht, einige der dabei wichtigen Fragen zu nennen und aktuelle Antworten zu finden.

Nutzen der Östrogene

Gibt es randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten, welche die in Fall-Kontroll- und Kohorten-Studien gefundene kardiale Schutzwirkung der Östrogene bestätigen?

Für eine Hormonsubstitution gelten grundsätzlich die gleichen Überlegungen, die auch für die Anwendung anderer Medikamente Gültigkeit haben. Zuverlässige Aussagen über den Nutzen von Medikamenten sind nur auf der Basis randomisierter Vergleichsstudien möglich. Die meisten bisher vorliegenden Resultate zur Hormonsubstitution nach der Menopause stammen aus Fall-Kontroll- oder Kohortenstudien, in denen die untersuchten Frauen nicht nach dem Zufall Östrogene erhalten haben. Es kann gezeigt werden, dass sich Frauen, die Hormone einnehmen, in verschiedenen, für ihre Gesundheit bedeutsamen Merkmalen von Frauen unterscheiden, die keine Hormone einnehmen.(2) Daraus lässt sich ableiten, dass nicht-randomisierte Hormonstudien durch «Confounding» verfälscht werden. Die Bedeutung einer solchen (nicht beabsichtigten) Selektion in bezug auf die vermutete Herzschutzwirkung kann vorderhand nicht genau abgeschätzt werden.(3)
Während randomisierte Studien mit klinischen Endpunkten bisher fehlen, gibt es einige randomisierte Studien, die sogenannte Surrogatendpunkte (z.B. Veränderungen der densitometrisch gemessenen Knochendichte oder bestimmter Blutlipide) hatten. Surrogatendpunkte besitzen jedoch nur beschränkte Aussagekraft in bezug auf die klinisch relevanten Ereignisse (Frakturen, Herzinfarkt). Seit wenigen Jahren sind nun prospektive, randomisierte Studien im Gange, die grösste davon im Rahmen der amerikanischen «Women’s Health Initiative». Mit Resultaten ist aber frühestens im Jahr 2005 zu rechnen.

Worauf könnte die Herzschutzwirkung der Östrogene beruhen?

Eine für Herz und Gefässe wichtige Wirkung der Östrogene ist die Beeinflussung der Blutlipide. Dies ist auch die Wirkung, die bisher am meisten untersucht und dokumentiert worden ist. Östrogene senken in der Regel die LDL-Cholesterinwerte und das Gesamtcholesterin und führen zu einem Anstieg des HDL-Cholesterins sowie der Triglyzeridspiegel. Diese Effekte sind bereits in mehreren kontrollierten Studien, insbesondere der sogen. PEPI-Studie (Postmenopausal Estrogen/Progestin Intervention) nachgewiesen worden.(4)Weitere Effekte, z.B. eine Senkung von Lipoprotein(a), wurden in anderen Untersuchungen gezeigt.(5)
Da die Bedeutung der verschiedenen Lipidfraktionen für die Entstehung koronarer Läsionen auch heute noch nicht eindeutig definiert ist, bleibt die Frage nach dem relativen Gewicht der hormoninduzierten Lipidveränderungen noch offen. Dies ist besonders bei der Beurteilung einer kombinierten Östrogen/Gestagen-Substitution zu berücksichtigen (siehe unten).
Nach übereinstimmender Meinung der Fachleute genügen aber die Lipidveränderungen nicht, um das vermutete Ausmass der kardialen Schutzwirkung zu erklären. Es wird angenommen, dass etwa 50% der Östrogenwirkung auf anderen Effekten beruhen. Als günstige Wirkungen werden unter anderem eine Senkung des Fibrinogenspiegels, ein plättchenhemmender Effekt, eine vorteilhafte Beeinflussung des Kohlenhydratstoffwechsels, eine antioxidative Wirkung sowie eine direkte gefässerweiternde Wirkung der Östrogene angenommen. Diese Effekte sind aber im Vergleich mit den Auswirkungen auf die Blutlipide wenig untersucht.

Gibt es klinische Studien, welche die Schutzwirkung der Östrogene in bezug auf Osteoporose-bedingte Frakturen nachweisen?

Retrospektive Fall-Kontrollstudien und Kohortenstudien lassen annehmen, dass eine Östrogensubstitution zu einer beträchtlichen Senkung der osteoporosebedingten Frakturrate führt. In zahlreichen Studien wurde zudem gezeigt, dass die densitometrisch gemessene Knochendichte unter Östrogenen nicht abnimmt oder sogar zunimmt. Anderseits gibt es bisher noch kaum eine randomisiert-kontrollierte Studie, die eine Senkung der osteoporosebedingten Frakturrate gezeigt hätte. Nur eine verhältnismässig kleine Doppelblindstudie bei Frauen, die bereits eine Wirbelfraktur erlitten hatten, hat eine signifikante Reduktion der Frakturrate gezeigt.(6) Obwohl heute die densitometrisch gemessene Knochendichte als verhältnismässig gutes Mass für das Frakturrisiko einer Person angesehen wird, schwächt auch hier das Fehlen von aussagekräftigen Studien mit klinischen Endpunkten die Argumentation für eine Östrogensubstitution. Dieser Mangel kann wohl erst durch die Resultate der jetzt laufenden randomisiert-kontrollierten Studien behoben werden.

Was weiss man über den Nutzen der Östrogene für die Harnwege (Harnwegsinfekte, Inkontinenz)?

Östrogene wirken der Atrophie der Vagina entgegen und verbessern die Reifung der Mukosazellen in der Urethra. Eine Wirksamkeit der Östrogene bei sensorischer Dranginkontinenz gilt als erwiesen, wenn sie auch nur in einigen wenigen kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.
Ausserdem wird vermutet, dass Östrogene über eine Kräftigung des Harnröhren-Verschlussdrucks auch eine Stressinkontinenz bessern könnten. Die Resultate kontrollierter Studien sind jedoch widersprüchlich.(7)
Dagegen konnte in einer kontrollierten Studie mit vaginal appliziertem Estradiol die Inzidenz von rezidivierenden Harnwegsinfekten sehr stark gesenkt werden. Dieser bemerkenswerte Nutzen scheint auf der Modifikation der vaginalen Flora zu beruhen.(8)

Gibt es nachgewiesene Vorteile der Hormonsubstitution in anderen Bereichen (Depression, Demenz, Gelenkveränderungen, Katarakte)?

Verschiedene Fall-Kontrollstudien oder Kohortenstudien weisen darauf hin, dass Frauen unter Östrogenen weniger Depressionen erleiden und seltener an einer Demenz erkranken. Randomisierte Studien zu dieser Frage liegen zurzeit nicht vor. Die Vermutung, Östrogene würden den Verlauf einer chronischen Polyarthritis vorteilhaft beeinflussen, konnte bisher in kontrollierten Studien nicht bestätigt werden. Immerhin gibt es Studienresultate, nach denen es Frauen mit Polyarthritis unter Östrogenen subjektiv besser geht als unter Placebo.
In einer Studie fanden sich ferner bei Frauen, die Östrogene nahmen, weniger schwere Katarakte.

Risiken einer Östrogensubstitution

Ist heute noch mit Uteruskarzinomen zu rechnen?

Dass eine ausschliessliche Östrogengabe bei Frauen mit intaktem Uterus zu einem signifikant erhöhten Risiko eines Uteruskarzinoms führt, ist schon seit Jahren bekannt. Alle neueren Untersuchungen haben bestätigt, dass Östrogene allein adenomatöse oder atypische Endometrium-Hyperplasien und vereinzelt Endometrium-Karzinome verursachen.(4)Dies hat auch dazu geführt, dass in der jetzt laufenden randomisierten Studie der «Womens’ Health Initiative» keine Frauen mit vorhandenem Uterus mit Östrogenen allein behandelt werden.
Die sequentielle oder kontinuierliche Verabreichung von Progesteron oder anderen Gestagenen verhindert die Entwicklung von Endometrium-Hyperplasien unter der Voraussetzung, dass die Gestagene jeweils während einer genügend langen Periode verabreicht werden. Es hat sich nämlich gezeigt, dass eine kurzfristige Gabe von Gestagenen (weniger als 10 Tage pro Zyklus) die Entstehung von Karzinomen nicht vollständig verhindert.(9)
Frauen ohne Uterus können weiterhin mit Östrogenen allein behandelt werden.

Gibt es tatsächlich ein Mammakarzinom-Risiko?

Bis vor kurzem bestand wenig Klarheit darüber, ob und in welchem Ausmass eine Hormonsubstitution nach der Menopause das Brustkrebs-Risiko erhöht. 1997 sind zu dieser Frage zwei bedeutsame Studien veröffentlicht worden:
In der bereits erwähnten Nurses’ Health Study zeigte sich, dass unter Hormonsubstitution die Sterblichkeit an Brustkrebs mit der Zeit stark zunahm. Im Vergleich mit Frauen, die keine Hormone nahmen, hatten Frauen, die seit mehr als 10 Jahren Hormone nahmen, eine um 43% höhere Brustkrebs-Mortalität.(1)
Noch wichtiger sind die Resultate einer grossen Meta-Analyse, die zahlreiche epidemiologische Studien mit insgesamt etwa 52'000 Frauen mit Brustkrebs und 108'000 Frauen ohne Brustkrebs umfasst. Das Risiko, an einem Brustkrebs zu erkranken, steigt mit jedem Jahr der Hormonanwendung an. Von 1000 Frauen im Alter von 50 bis 70 Jahren, die keine Hormonsubstitution erhalten, erkranken etwa 45 an einem Brustkrebs. Von den Frauen, die im Alter von 50 Jahren mit einer Hormonsubstitution beginnen und diese Behandlung für 10 oder 15 Jahre weiterführen, erkranken zusätzlich 6 bzw. 12 weitere an Brustkrebs. Etwa fünf Jahre nach dem Absetzen der Hormonsubstitution gleicht das Brustkrebs-Risiko wieder demjenigen der Frauen, die gar nie Hormone erhalten haben.(10)

Gestagene

Wie beeinflusst der Gestagenzusatz die kardiovaskulären Auswirkungen der Östrogensubstitution?

Diese Frage lässt sich vorderhand nicht direkt beantworten, da bisher keine Ergebnisse von randomisierten Studien mit klinischen Endpunkten vorhanden sind. Auch die grosse Mehrheit der übrigen bisher vorliegenden Untersuchungen bezieht sich auf eine Epoche, in der eine Hormonsubstitution bei den meisten Frauen mit Östrogenen allein durchgeführt wurde. Gemäss einem Bericht zur Nurses’ Health Study, der den Zeitabschnitt von 1976 bis 1992 umfasst, nahmen in dieser Kohorte 1992 nur 44% der mit Hormonen behandelten Frauen sowohl Östrogene als auch Gestagene. Es fanden sich keine Hinweise, dass Gestagene die vorteilhafte Herz-Wirkung der Östrogene reduzieren würden.(11)
Verhältnismässig oft wurde schon untersucht, wie sich der Gestagenzusatz auf die verschiedenen Blutlipid-Fraktionen auswirkt. Viele Fachleute nahmen primär an, Gestagene würden den günstigen Östrogenwirkungen entgegenwirken. Die heute vorliegenden Resultate zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Variabilität aus: In einzelnen Studien ergab der Gestagenzusatz praktisch keine Beeinflussung der Östrogenwirkung, in anderen Studien kam es dagegen zu einer signifikanten Abnahme des HDL-Cholesterins. (12, 13) Diese Variabilität ist wahrscheinlich durch die Verwendung verschiedener Gestagene in unterschiedlichen Dosen und nach unterschiedlichen Verabreichungsschemen (sequentiell oder kontinuierlich) erklärt. Als repräsentativ kann die bereits erwähnte PEPI-Studie gelten, in der nach drei Behandlungsjahren Frauen unter Östrogen allein oder unter Östrogen + Progesteron signifikant höhere HDL-Cholesterinwerte hatten als solche, die zu Östrogen noch Medroxyprogesteronacetat (z.B. Prodafem®) erhielten. Dagegen wurden die LDL-Cholesterinwerte bei allen hormonsubstituierten Frauen deutlich gesenkt, in den Medroxyprogesteron-Gruppen sogar noch deutlicher als in den anderen.(4)
Es muss also festgestellt werden, dass sich verschiedene Gestagene unterschiedlich auf die Lipide auswirken und dass ohne Studien mit echten klinischen Endpunkten keine zuverlässige Aussage zu den Auswirkungen von Gestagenzusätzen möglich ist. Da die vermutete Herzschutzwirkung der Östrogene nicht ausschliesslich auf den Lipideffekten beruht, gilt es auch, andere Auswirkungen im Auge zu behalten. In der PEPI-Studie war z.B. auffällig, dass sich in den mit Medroxyprogesteronacetat behandelten Gruppen leicht erhöhte postprandiale Blutzuckerwerte fanden.
Eine vor- oder nachteilige Auswirkung verschiedener Gestagenzusätze muss deshalb zweifellos noch genauer dokumentiert werden. Dieser Vorbehalt ändert allerdings nichts daran, dass sich heute alle Fachleute einig sind, dass Frauen mit Uterus in der Regel nicht mit Östrogenen allein behandelt werden sollen.

Wie werden Gestagene am besten verabreicht: sequentiell oder kontinuierlich?

Lange galt die sequentielle Gestagenverabreichung (an den letzten 10 bis 14 Tagen jedes vierwöchigen Östrogenzyklus) als die Regel. Diese Verabreichung imitiert den Hormonzyklus, der vor der Menopause vorhanden ist. Für viele Frauen ist jedoch die menstruationsähnliche Blutung, die einem solchen Zyklus folgt, Monate oder gar Jahre nach der physiologischen Menopause unerwünscht.
Mit einer kontinuierlichen Verabreichung eines Gestagens zusammen mit dem Östrogen wird erreicht, dass der Aufbau der endometrialen Schleimhaut unterdrückt wird. In den letzten Jahren sind einige Studien veröfffentlicht worden, in denen dieses Behandlungsregime - am häufigsten mit Medroxyprogesteronacetat - angewandt wurde. Im ersten Halbjahr kommt es damit recht häufig zu unregelmässigen Blutungen, später hören diese aber meistens auf. Nach den Daten der PEPI-Studie wirken sich die sequentielle und die kontinuierliche Medroxyprogesteron-Verabreichung weitgehend gleich aus; auch andere Messwerte wie Blutdruck, Insulin- und Blutzuckerspiegel, Fibrinogen sowie das Körpergewicht zeigen keine Abhängigkeit von der Verabreichungsart.(4) Wird eine solche kontinuierliche Gestagenverabreichung aber langfristig durchgeführt, so ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Uteruskarzinom auftritt.(14) Gesamthaft ist eine kontinuierliche Gestagenverabreichung noch weit weniger als die sequentielle Verabreichung dokumentiert.

Erhöht eine kombinierte Östrogen-Gestagen-Substitution das Risiko, eine Thrombophlebitis oder eine Lungenembolie zu entwickeln?

Weder die Gestagene noch Estradiol oder konjugierte Östrogene scheinen die Blutgerinnung stark zu beeinflussen. Auch die klinische Erfahrung mit der kombinierten Hormonsubstitution spricht gegen ein nennenswertes Thromboserisiko. Dennoch fand sich in drei verschiedenen Studien (unter anderem auch in der Nurses’ Health Study), dass hormonsubstituierte Frauen ein signifikant erhöhtes Risiko einer venösen Thrombose oder einer Lungenembolie aufweisen.(15, 16, 17) Es handelt sich um ein kleines absolutes Risiko: von 100'000 Frauen ohne Hormontherapie erleiden jährlich knapp 10 eine venöse Thrombose, von 100'000 mit Hormonen behandelte Frauen sind es jährlich knapp 30. Bei Frauen, die in der eigenen oder in der Familienanamnese tiefe Venenthrombosen oder Lungenembolien aufweisen, wird geraten, das individuelle Nutzen-Risiko-Verhältnis genau zu überdenken.(18)

Praxis der Hormonsubstitution

Lässt es sich nicht vermeiden, dass Frauen mit Uterus unter Hormonsubstitution eine regelmässige menstruationsähnliche Blutung haben?

Bei sequentieller Verabreichung tritt normalerweise wenige Tage nach Absetzen des Gestagens eine Entzugsblutung ein. Vereinzelt bleibt eine Blutung aus; solche Ausnahmen sind aber offenbar nicht häufig. Wird mit den Östrogenen kontinuierlich ein Gestagen gegeben, so ist eine Blutung nicht «notwendig», da die Schleimhaut nicht aufgebaut wird. Es gibt auch die Möglichkeit, Gestagene in grösseren Abständen zu verabreichen. Werden z.B. nur alle drei Monate während 10 Tagen Gestagene gegeben, kommt es nach dem Entzug zu einer stärkeren, etwas länger dauernden Blutung als bei sequentieller, monatlicher Verabreichung. Dennoch gaben z.B. in einer Studie mit Medroxyprogesteron die meisten Frauen der weniger häufigen Gestagenverabreichung den Vorzug.(19)Wie sich eine solche «seltene» Gestagenverabreichung auf das Uteruskarzinom-Risiko auswirkt, ist nicht bekannt.
Problematischer als regelmässige Blutungen sind sporadische oder Einzel-Blutungen, da sich in diesen Fällen immer die Frage nach der Notwendigkeit einer genaueren diagnostischen Klärung stellt. Blutungen sind allgemein einer der wichtigsten Gründe, weshalb eine Frau mit der Hormonsubstitution aufhört.

Auf welchem Weg werden die Hormone am besten verabreicht?

Östrogene und Gestagene können gut oral, intramuskulär oder über die Haut verabreicht werden. In bestimmten Fällen werden Östrogene auch vaginal appliziert. Injektionen werden heute nicht mehr häufig vorgenommen.
Auch bei der Verwendung von Hautpflastern gelangen die Hormone unmittelbar in den systemischen Kreislauf. Dies soll möglicherweise Vorteile haben; einige Untersuchungen haben zeigen können, dass z.B. die Trigylzeride bei transkutaner Verabreichung weniger ansteigen als bei oraler Östrogengabe oder sogar absinken. Anderseits sind oft auch die vermutlich günstigen Lipideffekte geringer als bei oraler Gabe.(13) Deshalb sind die Fachleute zum Teil der Meinung, die Beeinflussung kardiovaskulärer Risiken sei für die transkutane Verabreichung noch nicht überzeugend nachgewiesen.(20) Leider werden uns die Studien der «Women’s Health Initiative» zu dieser Frage kein neues Wissen vermitteln, da die Hormongabe in diesen Studien allgemein oral erfolgt.
Die Auswirkungen auf die densitometrisch bestimmte Knochendichte sind für die orale und die transkutane Verabreichung grundsätzlich identisch. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich möglicherweise um eine dosisabhängige Wirkung handelt: in einer Studie mit densitometrischen Untersuchungen nahm die Knochendichte unter der niedrigsten transkutanen Östrogendosis (0,025 mg/Tag, entsprechend Estradem®25) deutlich ab.(21) In einer anderen Studie fand sich jedoch unter derselben Dosis etwa das gleiche densitometrische Resultat wie unter einer höheren Dosis (Estraderm®50).(22)

Wie lange sollte eine Frau nach der Menopause Hormone einnehmen?

Hinsichtlich der Auswirkungen auf das Herz und die Knochendichte fällt auf, dass in den meisten Studien die Frauen, die zur Zeit der Untersuchung Hormone erhalten, im Vorteil sind. Dies könnte heissen, dass Hormone von der Menopause an bis ins hohe Alter substituiert werden sollten. Es ist jedoch heute praktisch unmöglich, zuverlässige Aussagen zu einer jahrzehntelangen Hormoneinnahme zu machen.
Es gibt nämlich nur wenige Studien, die tatsächlich eine solche langfristige Hormoneinnahme dokumentieren. In der Nurses’ Health Study hat nun ein (relativ kleiner) Teil der Frauen seit mehr als 15 Jahren regelmässig Hormone eingenommen. Die entsprechenden Daten lassen aber vermuten, dass der Nutzen einer Hormonsubstitution nach etwa 10 Jahren regelmässiger Einnahme deutlich abnimmt. Dies beruht auf der relativen Zunahme der Brustkrebs-Mortalität nach langjähriger Hormoneinnahme. Für Frauen mit einem geringen Risiko einer koronaren Herzkrankheit (d.h. Nichtraucherinnen mit normalen Blutdruck-, Blutzucker- und Cholesterinwerten) konnte kein signifikanter Überlebens-Vorteil der langfristigen Hormonsubstitution errechnet werden.(1)
Anderseits weisen mehrere Studien zur Knochendichte darauf hin, dass nur eine langdauernde Behandlung (während mindestens fünf Jahren) zu einem Schutz gegen Osteoporose führt. Gemäss einer Kohortenstudie, in der die Frakturhäufigkeit erfasst wurde, hatten alte Frauen keinerlei Nutzen einer früheren Östrogensubstitution, selbst wenn diese 10 oder mehr Jahre lang durchgeführt worden war.(23)

Nützt es noch etwas, im Alter Östrogene zu substituieren, wenn dies kurz nach der Menopause nicht erfolgte?

Es gibt Studien, die vermuten lassen, dass eine im Alter von 60 oder 65 Jahren begonnene Hormonsubstitution kaum weniger Auswirkungen auf die Knochendichte hat als eine schon unmittelbar nach der Menopause begonnene Therapie.(24, 25) In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Frauen zwischen 50 und 60 häufiger an Brustkrebs als an einem Herzinfarkt sterben. Es ist daher denkbar, dass das Nutzen/Risiko-Verhältnis einer späteren Substitution (z.B. ab 60 oder 65) vorteilhafter ist als wenn gleich nach der Menopause mit der Substitution begonnen wird.(25)

Spielt es eine Rolle, welches Östrogen oder welches Gestagen verabreicht wird?

Was die Östrogene anbelangt, beziehen sich die meisten der heute verfügbaren Daten auf die aus Stutenharn gewonnenen konjugierten Östrogene und, in geringerem Ausmass, auf Estradiol. Die Hautpflaster enthalten Estradiol. Es gibt kaum Anhaltspunkte, dass wichtige biologische Unterschiede zwischen konjugierten Östrogenen und Estradiol bestehen. Estron und Estriol werden weniger verwendet; Estriol hat eine viel geringere biologische Aktivität. Gestagene haben auch androgene Wirkungen; bei einzelnen (bei den 19-Nortestosteron-Derivaten, z.B. Norgestrel) ist diese Wirkung stärker ausgeprägt und diese antagonisieren auch die Lipidwirkungen der Östrogene stärker. In den USA ist besonders Medroxyprogesteronacetat beliebt. In der PEPI-Studie wurde auch mikronisiertes Progesteron getestet. Ausserdem werden auch Dydrogesteron und Medrogeston verwendet. Im Hautpflaster Estragest® findet sich Norethisteron. Es ist zurzeit nicht möglich, das eine oder das andere Gestagen als klar überlegen zu bezeichnen.

Spezielle Situationen

Soll oder darf eine Frau nach einem Herzinfarkt Östrogene und Gestagene einnehmen?

In den letzten Jahren sind einige retrospektive Studien veröffentlicht worden, in denen Frauen beobachtet wurden, die trotz koronarer Herzkrankheit mit Östrogenen behandelt wurden. Diese scheinen zu bestätigen, dass Östrogene vor einer Progression der Herzkrankheit schützen.(26) In einer kleinen Studie fand sich zudem eine günstige Wirkung der akuten Verabreichung von Estradiol auf eine belastungsinduzierte Myokardischämie.(27) Über die Konsequenzen einer kombinierten Östrogen-Gestagen-Substitution bei bestehender koronarer Herzkrankheit kann jedoch heute noch keine verlässliche Aussage gemacht werden.(28) Zurzeit läuft eine kontrollierte Studie (HERS), in der diese Frage geprüft wird.

Darf eine Frau, die vor Jahren einen Brustkrebs hatte, Östrogene oder Gestagene erhalten?

Bis vor kurzem galten Östrogene und Gestagene für Frauen, die einmal ein Mammakarzinom gehabt hatten, als streng kontraindiziert. Heute plädieren Fachleute zum Teil für eine Lockerung des Verbotes. Eine amerikanische Onkologengruppe hat 1994 die Argumente zusammengetragen, die als Grundlage für Studien bei Frauen nach Mammakarzinom dienen können. Dabei stehen Studien, in denen die Hormonsubstitution mit Tamoxifen (Nolvadex® u.a.) kombiniert wird, im Vordergrund des Interesses.(29)

Bringt die Hormonsubstitution einer Diabetikerin Vor- oder Nachteile?

Diabeteskranke haben bekanntlich häufig koronare Komplikationen. Grundsätzlich ist deshalb anzunehmen, dass sich eine Östrogensubstitution bei diesen Patientinnen vorteilhaft auswirken sollte. Bisher sind aber noch kaum Studien durchgeführt worden, in denen auch Diabetikerinnen Hormone erhielten. So ist insbesondere auch unklar, wie sich bei diesen Frauen der Gestagenzusatz auswirkt. Bevor diese Behandlung empfohlen werden kann, sind entsprechende Studien notwendig.(30)

Empfehlungen

Gibt es allgemeingültige Empfehlungen für Frauen nach der Menopause?

Bis Resultate von randomisierten Studien mit klinischen Endpunkten vorliegen, kann der mögliche Nutzen und ein allfälliger Schaden der Hormonsubstitution nicht zuverlässig eingeschätzt werden. Sollte es sich bestätigen, was heute vermutet werden kann - dass eine langfristige Hormonsubstitution die koronare Mortalität senkt, die Brustkrebsmortalität aber erhöht -, so könnte das individuelle Risikoprofil jeder Frau für den Entscheid über eine Hormongabe entscheidend werden. (Dass dabei auch ihr Risiko, osteoporosebedingte Frakturen zu erleiden, mitberücksichtigt werden müsste, ist offensichtlich, jedoch vergleichsweise von untergeordneter Bedeutung.)
Frauen, die sich heute in der Annahme einer kardioprotektiven Wirkung für eine langfristige Hormoneinnahme entscheiden, können dies ohne schwerwiegende Bedenken tun. Wenn sie keine besonderen koronaren Risikofaktoren aufweisen, sollten sie allerdings berücksichtigen, dass das Risiko einer Schweizer Frau, an einem Herzinfarkt zu erkranken oder zu sterben, im internationalen Vergleich ausgesprochen niedrig ist.
Frauen, die sich in Anbetracht des Brustkrebsrisikos gegen eine langfristige Hormoneinnahme entscheiden, können diesen Entscheid ebenfalls ohne nennenswerte Bedenken treffen. Diejenigen Frauen, die ein erhöhtes koronares Risiko haben, sollten jedoch besonders sorgfältig prüfen, ob sie nicht doch eine Hormonsubstitution vornehmen sollten.
Ärztinnen und Ärzte sollten in Anbetracht der vorhandenen Unsicherheiten vorläufig darauf verzichten, eine Hormonsubstitution zu propagieren. Ihre Rolle ist es, den Frauen eine möglichst umfassende und genaue Information zu vermitteln. Diese Information darf sich nicht einseitig auf «positive» oder «negative» Daten stützen.

Gibt es Alternativen zur Hormonsubstitution?

Es ist wahrscheinlich, dass andere medikamentöse Interventionen Frauen nach der Menopause einen der Hormonsubstitution gleichwertigen oder überlegenen Nutzen bringen könnten. Für die primäre und sekundäre Prävention der koronaren Herzkrankheit stehen verschiedene medikamentöse Optionen (z.B. Plättchenhemmer, Betablocker, Lipidsenker) zur Verfügung, deren Nutzen weitgehend unbestritten ist. Es gibt auch eine Reihe von medikamentösen Strategien zur Verhinderung osteoporosebedingter Frakturen. Diese sind allerdings noch nicht so gut dokumentiert, dass sich eine zuverlässige Aussage zu Nutzen und Schaden dieser Massnahmen machen liesse.
Zwei Arten von Interventionen können als problemlose Alternativen empfohlen werden: Aufrechterhaltung oder Intensivierung der körperlichen Aktivität kann sich für die Gesundheit der Frauen nach der Menopause nur vorteilhaft auswirken. Körperliche Aktivität hat positive Effekte auf Herz und Kreislauf wie auf das Skelett und reduziert zudem das Brustkrebsrisiko. Dasselbe gilt für eine adäquate Ernährung: nach heutigem Wissen empfiehlt es sich, reichlich Gemüse und Früchte zu essen, aber tierische Fette sehr sparsam zu sich zu nehmen.

Kommentare

Martin Birkhäuser (Bern)
Trotz einiger durch die Studienanlagen bedingten Ungenauigkeiten, sog. “Biases”, ist es unbestritten, dass die heute vorliegenden Resultate aus grösseren Studien in der Bejahung des osteoprotektiven und kardioprotektiven Effektes einer Hormonersatztherapie so weit übereinstimmen, dass deren Schlussfolgerungen durch die noch ausstehenden Daten der laufenden prospektiven randomisierten Untersuchungen mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht umgestossen werden: Diese Resultate werden vielleicht Teilaspekte korrigieren, aber insgesamt die bekannten Benefits einer Hormonersatztherapie bestätigen. Die Bedeutung der unterschiedlichen Gestagen-Wirkungen auf die Lipide wird zumindest bei Frauen mit normalen Serumlipiden dadurch stark relativiert, dass das Lipidprofil nur 20-30% zur Kardioprotektion beiträgt, der direkte Angriffspunkt der Östrogene an der Arterienwand dagegen 70-80%. Die laufenden Studien könnten aber dazu beitragen, die kontroversen Meinungen zu Mammakarzinomen unter Hormonersatztherapie genauer zu definieren.
Da die Meta-Analyse durch die Collaborative Group(10) weitgehend auf den Daten der Nurses’ Health Study beruht,(1) ist es nicht erstaunlich, dass die Schlussfolgerungen beider Publikationen fast identisch sind. Unabhängig vom Risiko einer Erkrankung an einem Mammakarzinom ist der Gesamtnutzen einer Hormonersatztherapie positiv, vor allem bei Frauen mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko. In einer prospektiven Kohortenuntersuchung bei 422'373 postmenopausalen Frauen kommen die Autoren zum Schluss, dass unter Östrogen-Substitution das relative Risiko an einen Mammakarzinom zu sterben, mit 0,84 (95%-Vertrauensintervall 0,75-0,94) signifikant erniedrigt ist, und dass kein Zusammenhang zwischen Karzinom-Risiko und Östrogen-Anwendungsdauer besteht.(31) Dies zeigt, dass die Problematik viel komplexer ist, als wir dies uns klarmachen wollen.
Die Indikation zur Hormonersatztherapie darf nie allein von den metabolischen Benefits aus gesehen werden. Was schlussendlich zählt, ist die Verbesserung der Lebensqualität, und nicht die Lebensverlängerung. Somit ist die Behandlung der subjektiven klimakterischen Symptome, welche die körperliche und die psychische Gesundheit sowie die soziale Integration beeinträchtigen, genau so ernst zu nehmen: auch sie rechtfertigen eine Langzeitsubstitution. Es gilt heute, für jede Frau eine Nutzen-Risiko-Analyse durchzuführen und bei gegebener Indikation die Hormonersatztherapie individualisiert einzusetzen. Risiken und Unannehmlichkeiten einer Hormonersatztherapie dürfen nie vernachlässigbar erscheinen.

Daniel Brügger (Laupen)
Die von vielen universitären Zentren «sophisticated» empfohlene, generelle postmenopausale Hormonersatz-Prävention nimmt im Vergleich zu den individuelleren Empfehlungen in der Praxis bis hin zur Akzeptanz bei den betroffenen Frauen (Compliance meist <25%) kontinuierlich ab.
Die (noch) nicht bewiesene Datenlage fordert uns auf, eine Hormonsubstitution kurzfristig symptomorientiert (Bedarf <50% in der Perimenopause) und langfristig auf der Grundlage eines Risikoprofils zu indizieren.(32) Dieses berücksichtigt als positive Indikatoren Osteoporose, Herzinfarkt und eventuell Morbus Alzheimer, als negative Indikatoren Mamma-Karzinom und venöse Thromboembolien. Inwieweit prädiktive Screening-Untersuchungen (z.B. Cholesterin/HDL-Quotient, sonographische Osteometrie) das anamnestisch erhobene Risikoprofil beeinflussen, bleibt offen.

Irene Hösli (Basel)
E. Gysling setzt sich in seinem Übersichtsartikel kritisch mit dem Einsatz der Hormonersatztherapie und den Ergebnissen klinischer Studien auseinander. Wenn auch zum Teil noch randomisierte Langzeitstudien ausstehen, so sind direkte und indirekte Hinweise für eine positive Auswirkung der Hormonersatztherapie auf Herz, Kreislauf und Knochen sicher vorhanden. Somit wird allgemein die Einnahme von Hormonen bei familiärer Belastung hinsichtlich Osteoporose, koronarer Herzerkrankungen oder Mobus Alzheimer, bei den ersten Anzeichen oben erwähnter Erkrankungen sowie vor allem bei subjektiv störenden Menopausenbeschwerden empfohlen. Die Frage des erhöhten Risikos für Mammakarzinom bei Einnahme über eine Dauer von mehr als 5 Jahren bleibt zur Zeit noch ungeklärt und sollte auch bei der Aufklärung der Patientin mitberücksichtigt werden.

Johannes G. Schmidt (Einsiedeln)
Es ist sicher nötig und richtig, darauf hinzuweisen, dass der präventive Nutzen einer postmenopausalen Hormonsubstitution nicht untersucht und nicht bekannt ist, und dass man Ärztinnen und Ärzte aufruft, die präventive Hormonsubstitution nicht weiter zu propagieren, ohne Patientinnen auch über die Unklarheit des Nutzens zu informieren. Zu diesem Schluss kam unter anderem kürzlich auch der Swedish Council of Technology Assessment in einer sorgfältigen Analyse der wissenschaftlichen Daten zur angeblichen Kardioprotektion.
Beim Versuch einer ausgewogenen Darstellung gerät es indessen zu einer Übertreibung, wenn hier von einer «Senkung» der Fraktur- und Infarkt-Rate gesprochen wird. Bei den bis heute vorliegenden unkontrollierten Studien darf man nicht von einer Senkung der Infarktrate sprechen. Kardiale Risiken waren zur Zeit dieser «Studien» eine Kontraindikation für eine Hormonbehandlung, was neben weiteren möglichen Selektionseffekten automatisch dazu führt, dass die Gruppe der Frauen ohne Hormoneinnahme mehr Infarkte aufweisen muss. In einer Zusammenstellung von 22 randomisierten Studien, in denen insgesamt 4124 Frauen mit Östrogenen oder mit Placebo behandelt wurden, wurde nachträglich die Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen analysiert: Frauen, die Hormone erhielten, erkrankten keienswegs seltener an Herzinfarkten, Herzinsuffizienz oder Hirnschlägen.(33)
Die inzwischen kaum mehr wegzudiskutierende erhöhte Rate von Brustkrebs unter Frauen mit Hormoneinnahme folgt ebenso diesen Selektions-Mechanismen, und auch der heute noch gültige, bewusste ärztliche Verzicht auf Hormone bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebs-Risiko müsste wie bei den Infarkten dazu führen, dass Frauen mit erhöhtem Krebsrisiko sich in die Gruppe ohne Hormone selektionieren, so dass in der Gruppe mit Hormoneinnahme die Krebsrate ebenfalls geringer ausfallen müsste. In die gleiche Richtung geht der ebenfalls generell zu beobachtende «Healthy Complier Effect», ein statistischer Artefakt, der auch die angebliche «Senkung» von Depressionen und Demenz bestens erklärt. Diese offensichtlichen Selektions-Effekte kaschieren somit vermutlich einen weit höheren, echten Krebs-Anstieg unter der Hormonsubstitution. Im übrigen ist es nötig, dass Ärzte auch im Fall der präventiven Hormonsubstitution die «Number Needed to Treat» abschätzen und deren eminente Bedeutung für das Nutzen-Risiko-Verhältnis verstehen lernen. Deshalb haben Hormone in der Osteoporose-Sekundärprävention einen gewissen Platz, nicht aber in der Primärprävention, die zudem an eine mindestens 20jährige Einnahme gebunden wäre.(34) Es ist unsinnig, immer wieder präventive Massnahmen zu verlangen, von denen wir nicht wissen, ob sie wirklich mehr nützen als schaden. Primum nihil nocere - Nichts tun ist oft mehr.

Barbara Wanner (Zürich)
Im Bereich der langjährigen Hormonersatztherapie mangelt es an wissenschaftlicher Evidenz - Anlass genug, zu überdenken: Wollen wir tatsächlich eine Medikalisierung des ganzen Frauenlebens: 30 Jahre Ovulationshemmer und dann 30 Jahre Hormonersatztherapie? Mit der Definition Menopause = Hormonmangelkrankheit, mit dem Vergleich an der Norm der 30jährigen Frau schlagen wir uns auf die Seite derjenigen, welche die älter werdende Frau abwerten. Wollen wir die Verinnerlichung dieser Abwertung durch die betroffenen Frauen selber noch zusätzlich fördern? Wird die Menopause hauptsächlich als Risiko für in Zukunft auftretende Krankheiten definiert, hat das eine Auswirkung auf die Frauen: Sie werden von nun an die Menopause als Risiko wahrnehmen. Schüren wir damit nicht unnötig Ängste?
Vielmehr gilt es für die wechseljährigen Frauen, eine neue Identität als alternde Frau zu finden. Liegt im bewussten, würdigen und angstfreieren Umgang mit dem Altern und dem Tod nicht auch ein Stück Lebensqualität?

Elisabeth Zemp (Basel)
Der neue Tenor: Die Bedeutung der Hormonsubstitution wird primär bei den kardiovaskulären Erkrankungen diskutiert. Die neuen Untertöne: Vergesst die Osteoporose, - sie ist von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung. Vergesst die Nebenwirkungen, so das Brustkrebsrisiko (im Vergleich zu Herz-Kreislauf-Krankheiten von vernachlässigbarer Grössenordnung), so das Uteruskarzinom-Risiko, - Frauen mit Uterus werden ohnehin nicht Östrogenen allein behandelt (in der Nurses’ Health Study nahmen 1992 allerdings nur 44% der mit Hormonen behandelten Frauen sowohl Östrogene als auch Gestagene), so die regelmässigen oder unregelmässigen Blutungen (sie sind - im Gegensatz zu Menopausalsymptomen? - wohl sowieso vernachlässigbar). Und vielleicht tut die Hormonsubstitution ja noch viel mehr, z.B. bei Depression, Demenz, Gelenkproblemen, Katarakten ...
Geraten Frauen in Zukunft bei Gynäkologen unter sanften, bei Kardiologen und Internisten unter massiven Druck zur Hormonaubstitution? Allerdings: wie im Artikel vermerkt und sorgfältig ausgeführt, sind wir vom üblichen Standard der Grundlagen für einen Medikamenteneinsatz, nämlich randomisierten Vergleichsstudien und Studien mit klinischen Endpunkten, noch weit entfernt. Kompliziert wird eine fundierte Beurteilung zudem durch die Vielzahl bisheriger Verbareichungsarten und Dosierungen.Und es ist ja noch viel komplizierter: Es gibt ja nicht nur den medikamentösen präventiven Ansatz für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose, es gibt ja noch Ansatzpunkte wie körperliche Aktivität und Ernährung (sie erhalten im Artikel 6 Zeilen, allerdings die letzten), und es gibt nicht nur die Menopause als Zeitpunkt für Interventionen.
Mein Fazit: Noch immer ungenügende Evidenz für praktisch alle klinischen Endpunkte (ausser Menopausalsymptome und Harnwegsinfekte). Noch immer ist unklar: Wofür oder wogegen soll die Hormonsubstitution eingesetzt werden? Bei wem? Wie lange? Es fehlt eine Gesamtbeurteilung präventiver Ansätze bezüglich Osteoporose und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Eine (heillose?) Vermischung von Indikationen verhindert ein differenziertes präventives und/oder therapeutisches Vorgehen.

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Hormone nach der Menopause (16. Dezember 1997)
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pharma-kritik, 19/No. 5,6
PK371
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