Nebenwirkungen aktuell

Metformin

Metformin, das neben Buformin (Silubin® retard) das einzige heute noch in der Schweiz verfügbare Biguanid ist, wird als gute Alternative zu anderen oralen Antidiabetika angesehen.

Ausführliche Informationen zu Metformin finden sich z.B. in folgenden Texten:
Bell PM, Hadden DR. Endocrinol Metab Clin North Am 1997; 26: 523-37
Davidson MB, Peters AL. Am J Med 1997; 102: 99-110
Mehnert H. Internist 1998; 39: 222-8

Markenname: Glucophage®

Laktatazidose

Eine 76jährige Frau, die seit Jahren an einem Typ-2-Diabetes, Hypertonie und koronarer Herzkrankheit mit Herzinsuffizienz litt, wurde wegen zunehmender Müdigkeit, Kurzatmigkeit und anhaltend erhöhten Blutzuckerspiegeln ins Spital eingewiesen. Zwei Monate vor Spitaleintritt war eine Behandlung mit Metformin begonnen worden, die bis zu einer Tagesdosis von 2,5 g gesteigert worden war. Ferner erhielt sie Glipizid (Glibenese®), Digoxin, Prazosin (Minipress®), Furosemid (Lasix® u.a.) und Acetylsalicylsäure (Aspirin® u.a.).

Beim Eintritt wurde ein tachykardes Vorhofflimmern mit einer Frequenz von 100/Min, ein Blutdruck von 176/100 mm Hg, eine Atemfrequenz von 18/Min und eine Körpertemperatur von 37,9°C festgestellt. Der Laktat-Blutspiegel betrug 4,1 mmol/l (Norm bis 2,1 mmol/l) und der Blutzucker 16 mmol/l. Ausserdem fand sich ein reduzierter Bikarbonatwert von 20 mmol/l und ein Anionen-Defizit von 23. Eine arterielle Blutgasanalyse wurde versehentlich nicht vorgenommen. Metformin wurde als Ursache der Laktatazidose vermutet und sofort gestoppt. Nach 24 Stunden war der Laktatspiegel auf 1,9 mmol/l gesunken. Wegen des Vorhofflimmerns wurde der Patientin Amiodaron (Cordarone®) verordnet. Der weitere Verlauf war komplikationslos und die Patientin konnte später nach Hause entlassen werden.

Die rasche Besserung des Laktatspiegels nach Absetzen von Metformin lässt annehmen, dass der Verdacht auf eine Metformin-induzierte Azidose richtig war.
Hulisz DT et al. J Am Board Fam Pract 1998; 11: 233-6

In einer zusammenfassenden Arbeit werden retrospektiv die Daten von 49 Personen ausgewertet, die unter Metformin eine Laktatazidose entwickelten. Alle hatten Laktatblutspiegel von mindestens 5 mmol/l und einen arteriellen pH-Wert von höchstens 7,35. Etwas mehr als ein Drittel der Untersuchten wurde nicht nur mit Metformin, sondern auch mit Sulfonylharnstoffen behandelt. In erster Linie interessierte, ob zwischen dem Ausmass der Laktatazidose, den Metformin-Plasmaspiegeln und der Mortalität in der Intensivpflegestation ein Zusammenhang vorhanden sei.

Bei allen Kranken fand sich mindestens ein Risikofaktor für eine Laktatazidose, am häufigsten (bei 36 von 49 Personen) eine Niereninsuffizienz. Fünf Patienten hatten eine höhere als die in der Schweiz empfohlene Maximaldosis (2,55 g/Tag) erhalten. Der Medianwert des Laktatspiegels betrug 13,1 mmol/l, der mediane pH-Wert 7,11 und der mediane Metformin-Plasmaspiegel 16,8 mg/l. Nur bei sechs Personen war der Metformin-Spiegel im therapeutischen Bereich; dagegen fanden sich acht, deren Spiegel um das Hundertfache über dem empfohlenen therapeutischen Niveau lag. 22 von 49 Kranken (45%) starben. Die medianen Laktatspiegel der Patienten, die starben, waren praktisch gleich wie die Werte jener Patienten, die überlebten. Erstaunlicherweise waren in der Gruppe der Überlebenden wesentlich höhere Metforminspiegel festzustellen als bei denen, die starben. Ebenso fanden sich bei den Überlebenden die höchsten Laktatspiegel.

Daraus ergibt sich, dass ein relativ niedriger Laktatspiegel nicht notwendig mit einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden ist. Auch die Höhe des Metforminspiegels erlaubt keine prognostische Aussage über den Verlauf und die Letalität einer Metformin-induzierten Laktatazidose. Die Autoren vermuten, dass der klinische Verlauf stärker von der Grundkrankheit und der Komorbidität (vor allem einer Niereninsuffizienz) beeinflusst wird als von der Höhe des Metformin- oder Laktatspiegels.
Lalau JD, Race JM. Drug Saf 1999; 20: 377-84

Interaktion mit Röntgenkontrastmitteln

Da sich intravenöse Röntgenkontrastmittel auf die Nierenfunktion auswirken können, wird empfohlen, zwei Tage vor und nach Kontrastmitteluntersuchungen kein Metformin zu verabreichen. Es wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um den Sinn dieser Empfehlung zu überprüfen.

Es konnten insgesamt 18 Fälle von Kontrastmittel-assoziierter Laktatazidose bei Metformin-behandelten Diabeteskranken identifiziert werden. Bei mindestens 16 dieser Personen bestand jedoch bereits vor der Kontrastmittelgabe eine Kontraindikation für die Verabreichung von Metformin, meistens wegen einer Niereninsuffizienz. Diese Daten lassen annehmen, dass Diabeteskranke mit einer normalen Nierenfunktion nur ein sehr geringes Risiko aufweisen, infolge der Verabreichung von Metformin und von Kontrastmitteln eine Laktatazidose zu entwickeln. Anderseits sollten die allgemeinen Kontraindikationen von Metformin sorgfältig beachtet werden.
McCartney MM et al. Clin Radiol 1999; 54: 29-33

Interaktion mit Indometacin

Eine 57jährige Frau, die seit 15 Jahren an einem Typ-2-Diabetes litt und deswegen mit Metformin (2mal 500 mg/Tag) behandelt wurde, musste wegen Unwohlsein, Bauchschmerzen, Brechreiz und Erbrechen hospitalisiert werden. Die Anamnese ergab keine Anhaltspunkte für ein vorbestehendes Nierenleiden. Wegen starken Rückenschmerzen hatte die Patientin seit zwei Monaten auch täglich 200 mg Indometacin (Indocid® u.a.) erhalten. Beim Eintritt fiel auf, dass die Patientin oligurisch war; ihr Blutdruck betrug 180/90 mm Hg. Die Laboruntersuchungen zeigten eine Niereninsuffizienz mit einem stark erhöhten Plasmakreatinin von 480 mmol/l, eine metabolische Azidose (pH 6,82, Bikarbonat 1,2 mmol/l) und einen erhöhten Laktatspiegel von 21,1 mmol/l. Der Blutzucker betrug 13,6 mmol/l. Anhaltspunkte für eine immunologische Ursache einer Glomerulonephritis wurden nicht gefunden. Die Ultraschalluntersuchung des Abdomens zeigte beidseits normale Nieren ohne Zeichen einer Nierenstauung.

Metformin und Indometacin wurden abgesetzt. Die Patientin musste intensiv mit Infusionen behandelt werden, was zu einer allmählichen Besserung ihres Befindens führte. Die Frau konnte in stabilem Zustand, jedoch mit deutlich reduzierter Nierenfunktion (Plasmakreatinin 220 mmol/l) entlassen werden. Die Autoren des Berichtes nehmen an, es sei unter Indometacin zu einer allmählichen Verschlechterung der Nierenfunktion gekommen, die schliesslich die Laktatazidose auslöste.
Chan NN et al. Lancet 1998; 352: 201

Hämolytischer Ikterus

Ein 46jähriger Mann, der wegen eines neu entdeckten Diabetes mit Metformin (1,5 g/Tag) behandelt wurde, entwickelte etwa zehn Tage nach Beginn der Behandlung einen Ikterus. Blutuntersuchungen zeigten erhöhte Werte von Gesamt- und nicht-konjugiertem Bilirubin (113 bzw. 106 mmol/l), jedoch normale Leberenzyme und eine negative Hepatitis-Serologie. Gegenüber einer Voruntersuchung waren Hämoglobin und Hämatokrit vermindert, das mittlere Zellvolumen und die Zahl der Retikulozyten dagegen leicht erhöht. Es fand sich eine normale Aktivität der Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase; die Resultate eines direkten Coombs-Tests waren nicht eindeutig. Metformin wurde abgesetzt. Langsam nahm der Ikterus wieder ab und die Bilirubinwerte kehrten in den Normbereich zurück. Mit dem Einverständnis des Patienten wurde nach zwei Monaten nochmals Metformin (500 mg/Tag) verabreicht. Dies führte wiederum rasch zum Anstieg der Bilirubinwerte, weshalb das Präparat nach fünf Tagen abgesetzt wurde. Auch diesmal normalisierten sich die Bilirubinwerte wieder vollständig. Das Ergebnis der Reexposition lässt annehmen, dass Metformin hier eindeutig für den hämolytischen Ikterus verantwortlich war.
Lin KD et al. N Engl J Med 1998; 339: 1860

Akute Hepatitis

Eine 52jährige Frau wurde wegen eines Typ-2-Diabetes und einer arteriellen Hypertonie seit mehreren Jahren mit Glipizid (Glibenese®) und Enalapril (Reniten®) behandelt. Da ihr Diabetes ungenügend eingestellt war, wurde Metformin hinzugefügt und die Dosis dieses Medikamentes innerhalb von zwei Wochen auf 2 g täglich gesteigert. Schon nach einigen Tagen wurde die Patientin auffällig müde und klagte über Durchfall und Bauchschmerzen. Vier Wochen nach Beginn der Metformin-Behandlung wurde sie ikterisch und musste hospitalisiert werden. Laboruntersuchungen zeigten die folgenden erhöhten Werte: Bilirubin 246 mmol/l, AST (GOT) 583 E/l, ALT (GPT) 651 E/l, alkalische Phosphatase 500 E/l. Die übrigen Laborresultate - insbesondere auch die Hepatitisserologie - waren normal. Eine Ultraschalluntersuchung ergab keine Anhaltspunkte für Veränderungen der Gallenwege. Obwohl sämtliche Medikamente abgesetzt wurden, stieg der Bilirubinspiegel zunächst weiter an. Eine Leberbiopsie ergab nun eine ausgeprägte Hepatitis mit perizentraler Nekrose, portaler und parenchymaler Entzündung sowie einer lymphozytären Vaskulitis der portalen Venen. Nach einigen Tagen kam es dann zu einer subjektiven Besserung, die Leberwerte normalisierten sich rasch. Die Autoren des Berichtes bezeichnen die Hepatitis etwa vier Wochen nach Beginn der Behandlung als typisches Bild einer idiosynkratischen Arzneimittelreaktion.
Babich MM et al. Am J Med 1998; 104: 490-2

Im Vergleich mit dem früher erhältlichen Phenformin (Dipar®, Glucopostin®) verursacht Metformin 10- bis 20mal seltener eine Laktatazidose. Diese Komplikation hat jedoch in etwa 50% einen letalen Verlauf. Es ist deshalb wichtig, trotz des in den grossen britischen Diabetesstudien erwiesenen Nutzens von Metformin

1.
UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 1998; 352: 854-65
Medline-Link in der Literaturliste!

dieses Medikament mit der nötigen Vorsicht einzusetzen. Bei den hier rapportierten Fällen von Laktatazidose waren sehr oft Kontraindikationen (insbesondere eine Niereninsuffizienz) ungenügend beachtet worden. Dass maximale Indometacindosen zu renalen (und anderen!) Problemen führen können, sollte eigentlich auch bekannt sein. Der Einzelfall einer hämolytischen Anämie ist insbesondere deshalb instruktiv, weil es hier wieder einmal gelungen ist, mittels Reexposition den Zusammenhang zwischen unerwünschtem Ereignis und Arzneimittel zu sichern. Bei der Metformin-induzierten Hepatitis handelt es sich wahrscheinlich um eine sehr seltene Reaktion.

UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Lancet 1998; 352: 854-65



Sildenafil

Sildenafil ist das erste oral wirksame Medikament zur Behandlung der erektilen Dysfunktion.

Ausführlichere Informationen zu Sildenafil sind z.B. zu finden in:
Sperling H, Michel MC. Dtsch Med Wochenschr 1999; 124: 151-3
Moreland RB et al. Trends Endocrin Metabolism 1999; 10: 97-104
Gysling E. pharma-kritik 1997; 19: 75-6

Markenname: Viagra ®

Kammertachykardie

Bei einem 52jährigen Mann, der vor 20 Jahren einen ausgedehnten anterioren Herzinfarkt erlitten hatte, traten während des Geschlechtsverkehrs eine Stunde nach Einnahme von Sildenafil Kurzatmigkeit und Benommenheit auf. Er suchte das Spital auf, wo eine monomorphe Kammertachykardie festgestellt wurde und eine erfolgreiche Kardioversion durchgeführt wurde.

Ein 71jähriger Mann mit koronarer Herzkrankheit war seit vier Jahren wegen episodischen Kammertachykardien Träger eines Defibrillators/Kardioverters. Bei sexueller Aktivität nach Einnahme von Sildenafil wurde innerhalb von wenigen Minuten dreimal ein Elektroschock ausgelöst. Die Analyse der Aufzeichnungen des implantierten Kardioverters zeigte, dass der Elektroschock jeweils funktionsgerecht durch Kammertachykardien ausgelöst worden war.

Weder der eine noch der andere Patient nahm Nitrate und beim Geschlechtsverkehr waren bisher keine Rhythmusstörungen aufgetreten.
Shah PK. N Engl J Med 1998; 339: 699

Herzinfarkt

Ein 65jähriger Mann musste mitten in der Nacht wegen perakuten Thoraxschmerzen hospitalisiert werden. Er hatte zum ersten Mal Sildenafil (50 mg) eingenommen. Die Schmerzen begannen etwa eine halbe Stunde nach der Einnahme, ohne sexuelle Aktivität. Dieser Patient hatte keine nennenswerten Risikofaktoren für eine koronare Herzkrankheit. Beim Eintritt war sein Blutdruck erhöht (169/97 mm Hg), die klinische Untersuchung im übrigen unauffällig. Auch die Laborresultate ergaben zunächst normale Resultate. Das EKG zeigte jedoch Veränderungen im Sinne eines akuten anterioren Myokardinfarkts. Es wurde eine Thrombolyse durchgeführt und der Patient erhielt Analgetika. Innerhalb von 24 Stunden stiegen die Kreatinkinase-, Laktatdehydrogenase- und Transaminase-Werte massiv an. Eine 5 Tage später durchgeführte Echokardiographie zeigte ein apikales Herzwandaneurysma und eine Auswurffraktion von 40%. Der Patient erholte sich ohne weitere Komplikationen.
Feenstra J et al. Lancet 1998; 352: 1932

Auswirkungen auf die Retina

Sildenafil hemmt nicht nur die Phosphodiesterase Typ V (in der glatten Gefässmuskulatur), sondern auch die Phosphodiesterase Typ VI, die beim Sehvorgang für den photochemischen Transduktionsprozess wesentlich ist. Die Hemmwirkung auf das Isoenzym in der Netzhaut beträgt aber nur etwa ein Zehntel der Wirkung auf das Isoenzym im Corpus cavernosum. In einer kleinen Studie wurden bei fünf Freiwilligen die Auswirkungen einer Einzeldosis von 100 mg Sildenafil auf verschiedene Messgrössen am Auge untersucht. Dabei wurden insbesondere Visus, Gesichtsfeld, Augeninnendruck, Farbenwahrnehmung, Fundoskopie, Elektroretinogramm und visuell evozierte Potentiale unmittelbar vor sowie eine und sechs Stunden nach Sildenafilgabe erfasst.

Subjektiv störende Veränderungen des Sehens wurden nicht beobachtet. Das Elektroretinogramm zeigte aber signifikante Veränderungen: Die Amplituden der a-Welle und der b-Welle waren nach einer Stunde deutlich (auf etwa 60 bis 80% des Ausgangswertes) reduziert. Nach sechs Stunden waren die Werte jedoch wieder normal. Die anderen (oben erwähnten) Messgrössen wurden nicht wesentlich verändert.

Die Autoren nehmen an, dass Sildenafil für die beschriebenen, vollständig reversiblen Veränderungen des Retinogramms verantwortlich ist. Es ist aber unbestimmt, ob Sildenafil bei vorbestehenden Veränderungen oder Erkrankungen der Retina nicht doch anhaltende Veränderungen auslösen könnte.
Vobig MA et al. Lancet 1999; 353: 375.

Interaktion mit Proteasehemmern wahrscheinlich

In der Biotransformation von Sildenafil sind zwei Zytochrome, CYP3A4 und CYP2C9 von Bedeutung. Mehrere Proteasehemmer - insbesondere Ritonavir (Norvir®) und Indinavir (Crixivan®) - hemmen Zytochrome. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass es bei HIV-Kranken, die mit einer hochaktiven antiretroviralen Therapie behandelt werden, zu Interaktionen mit Sildenafil kommt. Bisher liegen keine entsprechenden Fallberichte vor; pharmakokinetische Untersuchungen wären jedoch dringlich.
Nandwani R, Gourlay Y. Lancet 1999; 353: 840

Cluster-Kopfschmerzen

Ein 46jähriger Mann hatte eine langjährige Anamnese von Cluster-Kopfschmerzen; seit drei Jahren waren diese aber nicht mehr aufgetreten. Nachdem er das erste Mal eine 100-mg-Dosis von Sildenafil genommen hatte, erwachte er vier Stunden später mit intensiven rechtsseitigen Kopfschmerzen. Diese klangen innerhalb von einer Stunde wieder ab. Zwei Tage später nahm er nochmals Sildenafil und wieder kam es in der Nacht darauf zu heftigen Kopfschmerzen. Nun nahm er kein Sildenafil mehr. Die Cluster-Kopfschmerzen rezidivierten von jetzt an jedoch regelmässig. Bei der letzten Kontrolle berichtete er, er habe jede Nacht eine Kopfschmerzepisode, die auf Sumatriptan (Imigran®) jeweils wieder verschwand.
Stein M. Headache 1999; 39: 58-9

Gemäss Mitteilung der amerikanischen Arzneimittelbehörden sind in den USA bis im November 1998 nach der Einnahme von Sildenafil 130 Männer gestorben, rund 80 davon wegen Herzproblemen (plötzlicher Herztod, Herzinfarkt). Die Tatsache, dass das Medikament offenbar fast mühelos ohne echtes Arztrezept erhältlich ist, kann für die Todesfälle mitverantwortlich sein. Es ist nämlich mehrfach beschrieben worden, dass auch Männer mit eindeutigen Kontraindikationen Sildenafil eingenommen haben. Insbesondere die Hypotonien, die im Zusammenhang mit gleichzeitiger Einnahme von Nitraten auftreten können, stellen eine lebensbedrohliche Komplikation dar.

Zwei amerikanische Fachgesellschaften haben Empfehlungen zur Anwendung von Sildenafil bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen formuliert, die vor den Gefahren bei Männern mit koronarer Ischämie, Herzinsuffizienz und einer antihypertensiven Mehrfachtherapie warnen.

2. Cheitlin MD et al. Circulation 1999; 99: 168-77
Medline-Link in der Literaturliste!

Cheitlin MD et al. Circulation 1999; 99: 168-77




Sertindol

Das atypische Neuroleptikum Sertindol ist im Dezember 1998 «vorläufig» aus dem Handel gezogen worden. Über dieses Medikament informieren unter anderem die folgenden Texte:
Masche UP. pharma-kritik 1997; 19: 69-71
Brown LA et al. Pharmacotherapy 1998; 18: 69-83

Markenname: Serdolect ®

Tödliche Arrhythmien

Sertindol verzögert dosisabhängig die Repolarisationsphase des Herzens, was zu einer Verlängerung des QT-Intervalls führen kann. Übersteigt die QT-Verlängerung ein bestimmtes Mass, so besteht ein hohes Risiko von ventrikulären Arrhythmien (Torsades de pointes). Da verschiedene Zytochrome am Metabolismus von Sertindol beteiligt sind, können sowohl CYP2D6-Hemmer (z.B. einzelne Serotoninwiederaufnahmehemmer) als auch CYP3A4-Hemmer (z.B. Azol-Antimykotika) zu einem Anstieg der Sertindol-Plasmaspiegel führen.

Seit der Markteinführung (1996) bis Ende November 1998 wurden in Europa 36 Todesfälle beobachtet, die möglicherweise mit Sertindol in Zusammenhang stehen. Nicht in allen Fällen, aber häufig, handelte es sich um einen plötzlichen Herztod. Ausserdem wurde ein Reihe von nicht-tödlichen Arrhythmien bekannt. Die europäischen Arzneimittelbehörden kamen deshalb zum Schluss, nach den aktuell vorhandenen Daten übersteige das Risiko von Sertindol den Nutzen des Medikamentes.
Anon. Current Problems 1999; 25 (Februar): 1.

Bewegungsstörungen

Ein 33jähriger Patient mit einer manisch-schizoaffektiven Psychose wurde mit Sertindol (20 mg/Tag) und Lithium (3mal 300 mg/Tag) behandelt und entwickelte unter dieser Therapie ein hochfrequentes, unregelmässiges Zittern. Dieses Problem blieb bestehen, obwohl beide Medikamente vorsichtig reduziert und schliesslich abgesetzt wurden. Drei Monate nach dem Absetzen von Lithium und Sertindol war der Tremor geringer, aber immer noch vorhanden. Der Autor des Berichtes vermutet, dass ein von Lithium verursachter Tremor in diesem Fall wegen der gleichzeitigen Verabreichung von Sertindol viel länger anhielt.
Raja M. Movement Disorders 1998; 13 (Suppl 2): 83

Eine 85jährige Frau wurde wegen Erregungszuständen, die von Halluzinationen und Angst begleitet waren, mit Sertindol (initial 4mal 4 mg/Tag, später 4mal 8 mg/Tag) behandelt. Nach fünf Behandlungswochen erlitt die Patientin einen Schlaganfall, wahrscheinlich ohne Zusammenhang mit dem Medikament. In der Folge wurde die Sertindol-Dosis wieder auf 4mal 4 mg/Tag reduziert. Mehrere Wochen nach dem Insult wurde beobachtet, dass die Frau ständig nach rechts hinten lehnte («Pisa-Syndrom»). Diese Störung verschwand innerhalb von vier Tagen nach dem Absetzen von Sertindol.
Padberg F et al. Br J Psychiatry 1998; 173: 351-2

Dass Sertindol ein gefährliches Medikament sein könnte, weiss man spätestens seit die Resultate der in den USA von der Firma Abbott durchgeführten Studien bekannt wurden. In diesen Studien starben 27 (von rund 2200) Patientinnen und Patienten, mehrere davon an plötzlichem Herztod. Die Hersteller vertreten dagegen die Meinung, andere atypische Neuroleptika unterschieden sich in ihrer «globalen Mortalitätsrate» nicht von Sertindol. Ob dies wirklich zutrifft, sollte sich aus dem laufenden Schiedgerichtsverfahren ergeben.

Standpunkte und Meinungen

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Nebenwirkungen aktuell (29. Mai 1999)
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