Glimepirid

Synopsis

Glimepirid (Amaryl®) wird zur Behandlung des nicht-insulinabhängigen Diabetes mellitus (Typ-II-Diabetes) empfohlen, wenn sich «mit Diät, körperlicher Bewegung und Gewichtsreduktion» keine optimalen Blutzuckerwerte erreichen lassen.

Chemie/Pharmakologie

Glimepirid ist ein Sulfonylharnstoffderivat. Sulfonylharnstoffe stimulieren die Insulinfreisetzung aus den Betazellen des Pankreas.(1) Unter langfristiger Sulfonylharnstoff-Verabreichung sinken die Insulinspiegel allerdings in der Regel wieder ab, ohne dass die Blutzuckerwerte ansteigen. Die chronische Wirkung dieser Medikamente ist deshalb nicht eindeutig geklärt; es ist auch nicht sicher, ob Sulfonylharnstoffe zudem über extrapankreatische Effekte wirken. (1, 2)

Pharmakokinetik

Glimepirid wird rasch aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen und ist praktisch vollständig biologisch verfügbar.(3) Maximale Plasmakonzentrationen können nach 2-3 Stunden beobachtet werden. Glimepirid wird in zwei Hauptmetaboliten, ein Hydroxy- und ein Carboxyderivat, umgewandelt, von denen das erstere rund ein Drittel der blutzuckersenkenden Aktivität von Glimepirid aufweist. Die terminale Plasmahalbwertszeit von Glimepirid beträgt, je nach Dosis, zwischen 3 und 9 Stunden. Der aktive Metabolit wird mit einer Halbwertszeit von 3 Stunden aus dem Plasma eliminiert. Die blutzuckersenkende Wirkung ist noch nach 24 Stunden nachweisbar. Die Ausscheidung von Glimepirid (in Form von Metaboliten) erfolgt zum grösseren Teil mit dem Urin, weniger mit dem Stuhl.(4)

Klinische Studien

Gemäss Herstellerangaben ist Glimepirid in klinischen Studien bei über 4000 Patienten mit Placebo, Glibenclamid (Daonil® u.a.) sowie mit Gliclazid (Diamicron®) verglichen worden. Keine dieser Studien wurde bisher in einer Fachzeitschrift vollständig publiziert. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine Übersichtsarbeit,(5) auf Abstracts sowie auf eine bruchstückhaft veröffentlichte Vergleichsstudie zwischen Glimepirid und Gliclazid.
Bei insgesamt etwa 700 Personen wurde Glimepirid in kontrollierten Studien gegen Placebo geprüft.(5) In der grössten dieser Studien wurden verschiedene Glimepirid-Dosen auf ihre Wirkung auf den Blutzucker und das glykosylierte Hämoglobin (HbA1c) untersucht. 304 Patienten mit Typ-II-Diabetes erhielten während 14 Wochen randomisiert einmal täglich 1, 4 oder 8 mg Glimepirid oder Placebo. Auch bei Personen, die nachher mit 4 oder 8 mg/Tag behandelt wurden, wurde die Behandlung mit der niedrigsten Dosis begonnen. Am Ende der Studie waren die Nüchtern-Blutzuckerwerte unter der 1-mg-Tagesdosis um 2,3 mmol/l und unter der 4-mg- und 8-mg-Tagesdosis um rund 4 mmol/l niedriger als unter Placebo. Auch die HbA1c-Werte waren bei den aktiv Behandelten niedriger. (5)
Bisher sind zwei Langzeitstudien mit Glimepirid durchgeführt worden.(5) Eine dieser Untersuchungen liegt in Abstract-Form zur Beurteilung vor. In dieser internationalen Doppelblindstudie wurden 1044 Personen, deren Nüchtern-Blutzuckerwerte nicht über 14 mmol/l betragen durften, ein Jahr lang untersucht. Alle Patienten waren zuvor mit Glibenclamid behandelt worden. In der ersten Studienwoche wurde täglich einmal 1 mg Glimepirid oder 2,5 mg Glibenclamid verabreicht. Wenn so der Nüchtern-Blutzucker nicht unter 8,3 mmol/l gesenkt werden konnte, wurde die Dosis schrittweise bis zum Erreichen dieses Glukose-Wertes oder bis zu einem Maximum von 8 mg Glimepirid oder 20 mg Glibenclamid pro Tag erhöht. Die beiden Medikamente ergaben eine gleichwertige Senkung der Blutzucker- und HbA1c-Werte. Unter Glimepirid waren jedoch die Nüchternwerte des Plasmainsulins und des C-Peptids weniger erhöht als unter Glibenclamid.(6)
In einer anderen Doppelblindstudie wurde Glimepirid während 24 Wochen mit Gliclazid verglichen. Die Mehrzahl der insgesamt 460 Patienten hatte vor Studienbeginn Glibenclamid (1,25 bis 10 mg/Tag) erhalten; rund ein Fünftel war nur mit Diät behandelt worden. Vor der Studie (unter Glibenclamid) betrug der durchschnittliche Nüchtern-Blutzucker aller Patienten 10,0 mmol/l, das HbA1c 8,5%. Die Patienten erhielten 1 bis 6 mg Glimepirid oder 40 bis 160 mg Gliclazid täglich. Bei der total 93 Personen umfassenden Gruppe von Patienten, die vor der Studie verhältnismässig hohe Glibenclamid-Dosen (6,25 bis 10 mg/Tag) erhalten hatten, stiegen die Blutzuckerwerte unter Gliclazid während der Studie leicht an, während sie unter Glimepirid absanken. Auch die HbA1c-Werte zeigten eine ähnliche, allerdings nicht signifikante Tendenz. In der weit grösseren Gruppe von Patienten, die vorgängig keine Antidiabetika oder nur niedrigdosiertes Glibenclamid erhalten hatten, fanden sich keine Unterschiede zwischen den beiden Medikamenten.(7)
Gemäss einer nicht-publizierten Studie ist Glimepirid ferner wirksamer als Placebo, wenn es zur Insulinbehandlung von Diabeteskranken hinzugefügt wird.(8)

Unerwüschte Wirkungen

Die gefährlichste unerwünschte Wirkung der Sulfonylharnstoffe ist eine langanhaltende, schwere Hypoglykämie. In dieser Hinsicht wird Glibenclamid im Vergleich mit anderen Sulfonylharnstoffen als eher gefährlicher eingestuft. Neuentwicklungen sollten sich deshalb vorteilhaft von Glibenclamid unterscheiden. In der oben zitierten Vergleichsstudie traten unter Glimepirid bei 11%, unter Glibenclamid bei 14% der Behandelten Hypoglykämien auf, was keinen signifikanten Unterschied ergibt. Schwere Hypoglykämien wurden unter Glimepirid bei einem, unter Glibenclamid bei drei Patienten verzeichnet.(6) Nach Herstellerangaben sollen unter Glimepirid Hypoglykämien insbesondere in den ersten Behandlungswochen seltener vorkommen. Anderseits ergaben sich auch gegenüber Gliclazid keine signifikanten Unterschiede: Unter Glimepirid wurden bei 4,8% der Patienten hypoglykämische Reaktionen verzeichnet, unter Gliclazid bei 2,6%.(7) In den Glibenclamid-kontrollierten Studien wurden neben der Hypoglykämie als häufigste Symptome Schwindel, Kopfschmerzen und Durchfall beobachtet. Nach Herstellerangaben können ferner folgende Nebenwirkungen vorkommen: Sehstörungen (besonders zu Beginn der Therapie), gastrointestinale Probleme (Durchfall, Brechreiz/Erbrechen, Magenbeschwerden, Völlegefühl und Bauchschmerzen). In wenigen Fällen sind Leberfunktionsstörungen (Cholestase, Ikterus), Hepatitis, Überempfindlichkeitsreaktionen, Blutbildveränderungen (hämolytische Anämie u.a.), Abnahme der Natrium-Plasmaspiegel und allergische Vaskulitiden beobachtet worden.

Interaktionen
Die Herstellerfirma führt eine lange Liste von Medikamenten an, die zur verstärkter oder reduzierter Wirkung anderer Sulfonylharnstoffe geführt haben. Vorsicht ist zweifellos angezeigt. Bisher sind jedoch noch keine klinisch relevanten Interaktionen von Glimepirid dokumentiert.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Glimeprid (Amaryl®) ist in der Schweiz als Tabletten zu 1, 2 und 3 mg erhältlich. Das Präparat ist kassenzulässig. Die Therapie soll mit 1 mg täglich begonnen werden; die Dosis kann jeweils nach 1-2 Wochen gesteigert werden, bis eine befriedigende metabolische Kontrolle erreicht ist. Eine Tagesdosis von 6 mg wird selten benötigt und höhere Dosen bringen noch seltener eine zusätzliche Wirkung. Glimepirid soll in einer Dosis vor dem Frühstück (oder der ersten grösseren Mahlzeit) eingenommen werden. Um Hypoglykämien zu vermeiden, sollen keine Mahlzeiten ausgelassen werden. Bei eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion ist die Dosis niedrig zu halten; in fortgeschrittenen Fällen wird besser auf Sulfonylharnstoffe verzichtet. Wie andere Sulfonylharnstoffe eignet sich Glimepirid nicht zur Behandlung von Diabetes-Notfällen und gilt auch in Schwangerschaft und Stillzeit als kontraindiziert. Eine Behandlung mit 2 mg Glimepirid pro Tag kostet CHF 19.65 monatlich. Werden Generika verschrieben, so ist eine Behandlung mit Glibenclamid (5 mg/Tag) billiger (knapp 15 Franken monatlich).

Kommentar

Obwohl bisher fast nur Veröffentlichungen seitens der Herstellerfirma vorliegen, darf angenommen werden, dass Glimepirid eine zuverlässige blutzuckersenkende Wirkung aufzuweist. Glimepirid muss offenbar wirklich nur einmal täglich eingenommen werden, während von anderen Antidiabetika oft mehrere Dosen täglich notwendig sind. Ob sich das neue Medikament sonst in einem praktisch relevanten Aspekt von den bisherigen Sulfonylharnstoffen - z.B. von Glibenclamid - unterscheidet, kann noch nicht gesagt werden. Insbesondere ist nicht klar, ob Glimepirid signifikant weniger Hypoglykämien verursacht. Somit besteht vorderhand kaum ein Grund, statt Glibenclamid oder einem anderen gut dokumentierten Sulfonylharnstoff das neue Medikament zu verschreiben.

Literatur

  1. 1) Davis SN, Granner DK in: Hardman JG et al (Herausgeber), Goodman & Gilman's Pharmacological Basis of Therapeutics. New York: McGraw-Hill New York, 1996: 1507-17
  2. 2) Müller G et al. Diabetes Res Clin Pract 1995; 28 (Suppl): S115-37
  3. 3) Badian M et al. Drug Metab Drug Interact 1994; 11: 331-9
  4. 4) Malerczyk V et al. Drug Metab Drug Interact 1994; 11: 341-57
  5. 5) Draeger E. Diabetes Res Clin Pract 1995; 28 (Suppl): S139-46
  6. 6) Draeger E et al. 15th International Diabetes Kongress Kobe 1994. Abstract 10A5PP1051
  7. 7) Tsumura K. Diabetes Res Clin Pract 1995 Suppl: S 147-9
  8. 8) Bloomgarden ZT. Diabetes Care 1996; 19: 295-99

Standpunkte und Meinungen

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Glimepirid (3. Juli 1996)
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pharma-kritik, 17/No. 20
PK455
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