Ticlopidin

Synopsis

Ticlopidin (Ticlid®) ist ein Plättchenhemmer, der zur Sekundärprophylaxe von thromboembolischen Ereignissen nach zerebralen Ischämien empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Die Bildung eines Thrombus erfolgt durch Adhäsion und Aggregation von Blutplättchen. Die Plättchenaggregation kann im wesentlichen durch drei Mediatoren ausgelöst werden: Adenosin-Diphosphat (ADP), Thromboxan A2 (TXA2) und den Plättchen-aktivierenden Faktor (PAF). Ticlopidin ist ein Thienopyridin-Derivat. Es hemmt dosisabhängig vor allem die ADP-induzierte Thrombozytenaggregation und die Plättchen-Fibrinogen-Bindung; der genaue Wirkungsmechanismus ist allerdings nicht bekannt. Anders als bei der Acetylsalicylsäure (z.B. Aspirin ®) erfolgt die Wirkung also nicht über eine Hemmung der Zyklooxygenase und damit der Thromboxan A2-Biosynthese. (1)

Pharmakokinetik

Nach oraler Verabreichung wird Ticlopidin rasch resorbiert; die Bioverfügbarkeit liegt bei 80 bis 90%. Maximale Plasmaspiegel werden nach 1 bis 3 Stunden erreicht. Ticlopidin wird in der Leber fast vollständig metabolisiert. Es hat in vitro und in vivo eine unterschiedliche Aktivität, was auf noch nicht näher definierte, aktive Metaboliten hindeutet. Die plättchenhemmende Wirkung von Ticlopidin ist irreversibel und erreicht nach 3 bis 5 Tagen ein Maximum. Die Halbwertszeit beträgt nach längerer Verabreichung 96 Stunden. Nach Absetzen des Medikamentes hält seine Wirkung noch etwa 10 Tage an. Ausgeschieden wird Ticlopidin überwiegend im Form von Metaboliten im Urin (60%) und im Stuhl (25%).(1,2)

Klinische Studien

Ticlopidin wurde hauptsächlich als Sekundär-Prophylaktikum bei zerebralen Ischämien geprüft. Die verabreichte Dosis in den beschriebenen Studien betrug in der Regel 2mal 250 mg/Tag.

Zerebrale Ischämien

Die «Canadian American Ticlopidine Study» (CATS) war eine multizentrische Doppelblindstudie. Sie umfasste 1072 Patienten (62% Männer), die einen thromboembolischen Schlaganfall nicht-kardialer Ursache erlitten hatten. Die Wirksamkeit von Ticlopidin zur Prävention eines Schlaganfallrezidivs, einesMyokardinfarktes oder eines vaskulär bedingten Todes wurde während durchschnittlich 24 Monaten untersucht. Das Risiko für eines der drei Ereignisse betrug in der Ticlopidin-Gruppe 10,8% pro Jahr, in der Placebo-Gruppe 15,3% pro Jahr; in 70% war das Ereignis ein weiterer Schlaganfall. Mit Ticlopidin konnte das Risiko gegenüber Placebo um 30% gesenkt werden. Bei den Frauen war Ticlopidin ebenso wirksam wie bei den Männern. Rund die Hälfte der mit Ticlopidin Behandelten und 40% der mit Placebo behandelten beendeten die Studie nicht. Nebenwirkungen waren in 12 bzw. 3% dafür verantwortlich.(3)

Die grösste doppelblinde Vergleichsstudie war die «Ticlopidine Aspirin Stroke Study» (TASS). Es wurde untersucht, ob Ticlopidin oder Acetylsalicylsäure (1300 mg/Tag) die Inzidenz von Schlaganfällen oder die Mortalität wirksamer vermindern kann. Die Studie umfasste 3069 Patienten über 40 Jahre (65% Männer), bei welchen transitorische ischämische Attacken oder leichte ischämische Insulte nicht-kardialen Ursprungs aufgetreten waren. Über einen Zeitraum von drei Jahren trat ein Schlaganfall oder Tod des Patienten bei 17% der mit Ticlopidin Behandelten und bei 19% der mit Acetylsalicylsäure Behandelten auf. Die Wirkung war bei Frauen mindestens ebenso gut wie bei Männern. Die Gesamtinzidenz der Schlaganfälle betrug in der Ticlopidin-Gruppe 10%, in der Acetylsalicylsäure- Gruppe 13%.(4)

In einer 12monatigen japanischen Doppelblindstudie wurde eine niedrigere Dosis Ticlopidin (200 mg/Tag) mit Acetylsalicylsäure (500 mg/Tag) verglichen. 281 Personen mit transitorischer ischämischer Attacke nahmen daran teil. Die Inzidenz von zerebralen Ischämien oder Myokardinfarkten war nicht signifikant verschieden.(2)

Andere Indikationen

In einer schwedischen multizentrischen Doppelblindstudie wurde die Wirksamkeit von Ticlopidin zur Verhinderung eines Myokardinfarktes, eines Schlaganfalls oder einer transitorischen ischämischen Attacke bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit untersucht. 687 Personen wurden in die Studie aufgenommen und während mindestens 5 Jahren beobachtet. Bei Studienende war bei 25,7% der mit Ticlopidin Behandelten und bei 29% der mit Placebo Behandelten eines der drei Ereignisse eingetreten; in knapp 70% war das Ereignis jeweils ein akuter Myokardinfarkt. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen war statistisch nicht signifikant.(5)

In einer 21monatigen Doppelblindstudie bei 151 Personen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit zeigte sich mit Ticlopidin eine gegenüber Placebo signifikante Zunahme der maximalen Gehstrecke.(6)

In einer 3jährigen, multizentrischen Doppelblindstudie bei Diabetikernmit nicht-proliferativer Retinopathie wurde die Wirksamkeit von Ticlopidin zur Verhinderung des Fortschreitens der diabetischen Retinopathie untersucht. Die Daten von 374 Diabetikern (270 Insulinpflichtige) konnten ausgewertet werden. Bei insulinpflichtigen Diabetikern konnte mit Ticlopidin die jährliche Zunahme der Mikroaneurysmen gegenüber Placebo signifikant gesenkt werden. Für die kleinere Gruppe der nicht-insulinpflichtigen Patienten war das Ergebnis nicht signifikant verschieden. (7) Eine randomisierte, aber nicht doppelblinde italienische Multizenterstudie bei 652 Personen mit instabiler Angina pectoris weist auf einen möglichen Nutzen von Ticlopidin zur Verhinderung kardiovaskulärer Ereignisse hin.(8)

Unerwünschte Wirkungen

Bei 50 bis 60% der mit Ticlopidin Behandelten treten unerwünschte Wirkungen auf. Am häufigsten sind gastrointestinale Nebenwirkungen (hauptsächlich Durchfall, aber auch Bauchkrämpfe, Übelkeit und Erbrechen). Weiter werden allergische Hautreaktionen und leichte Blutungskomplikationen beobachtet. Auch ein Anstieg der Leberenzyme und um etwa 10% erhöhte Cholesterinspiegel werden beobachtet. Als schwerwiegendste Nebenwirkung treten bei 2 bis 3% Neutropenien auf; etwa ein Drittel bis die Hälfte davon sind schwere Neutropenien (weniger als 450 Neutrophile/mm3). Seltener sind schwere Thrombozytopenien, Agranulozytosen oder Panzytopenien. Die hämatologischen Nebenwirkungen sind reversibel und treten meist in den ersten drei Behandlungsmonaten auf.1,2 Im Vergleich zu Acetylsalicylsäure (1300 mg/Tag) verursacht Ticlopidin etwa doppelt so häufig Durchfall und Exantheme; peptische Ulzera und gastrointestinale Blutungen treten dreimal weniger häufig auf.(4)

Interaktionen: Gleichzeitige Verabreichung von Antazida vermindert die Bioverfügbarkeit von Ticlopidin um etwa 20%. Ticlopidin vermindert die Clearance von Theophyllin und erhöht dadurch den Theophyllin-Plasmaspiegel.(1,2)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Ticlopidin (Ticlid®) ist als Filmtabletten zu 250 mg erhältlich. Es wird ab 15. September 1993 kassenzulässig sein. Die übliche Dosierung beträgt 500 mg/Tag. Das Medikament soll zu den Mahlzeiten eingenommen werden. Wegen der hämatologischen Nebenwirkungen soll vor Beginn einer Behandlung mit Ticlopidin und anschliessend während der ersten drei Behandlungsmonate alle zwei Wochen ein Differentialblutbild (einschliesslich Thrombozytenzählung) gemacht werden. Beim Auftreten einer Neutropenie (weniger als 1500 Neutrophile/mm3) oder einer Thrombozytopenie (weniger als 100’000 Thrombozyten/ mm3) wird ein Abbruch der Behandlung empfohlen. Kontraindiziert ist Ticlopidin bei Personen mit früheren hämatologischen Komplikationen, hämorrhagischen Diathesen oder Hämopathien mit Verlängerung der Blutungszeit, bei Patienten mit aktiven Magen-Darmulzera oder einem akuten hämorrhagischen Insult sowie bei Personen mit Leberinsuffizienz. Abgeraten wird von einer Kombination mit Antikoagulantien oder anderen Plättchenhemmern.
Zur Anwendung von Ticlopidin in der Schwangerschaft und während der Stillzeit liegen keine Erfahrungen vor. Eine einmonatige Therapie kostet Fr. 134.40. In den ersten Behandlungsmonaten kommen noch die Kosten der notwendigen Laboruntersuchungen dazu. Die monatlichen Behandlungskosten mit Acetylsalicylsäure (100 mg oder 300 mg/Tag) belaufen sich auf rund 5 Franken.

Kommentar

Ticlopidin kann zur Prophylaxe von thromboembolischen Insulten bei Männern und Frauen verwendet werden, die transitorische ischämische Attacken oder leichte ischämische Insulte erlitten haben. Es ist aber bisher nur in wenigen Studien mit Acetylsalicylsäure verglichen worden. Die hohe Acetylsalicylsäure-Dosis, die in der grossen Vergleichsstudie verwendet wurde (1300 mg/Tag) ist zudem weniger gut verträglich als die heute empfohlene niedrigere Dosis. Ein Nutzen des Medikamentes bei anderen Indikationen erscheint zur Zeit nicht genügend gesichert. Ticlopidin ist teuer. Da es zudem häufige und z.T. gefährliche Nebenwirkungen hervorruft, soll es nur Personen gegeben werden, die Acetylsalicylsäure nicht vertragen.

Literatur

  1. 1) Ito MK et al. Clin Pharm 1992; 11: 603-17
  2. 2) Mc Tavish D et al. Drugs 1990; 40: 238-59
  3. 3) Gent M et al. Lancet 1989; 1: 1215-20
  4. 4) Hass WK et al. N Engl J Med 1989; 321: 501-7
  5. 5) Janzon L et al. J Int Med 1990; 227: 301-8
  6. 6) Balsano F et al. J Lab Clin Med 1989; 114: 84-91
  7. 7) Ticlopidine Microangiopathy of Diabetes Study Group. Arch Ophtalmol 1990; 108: 1577-83
  8. 8) Balsano F et al. Circulation 1990; 82: 17-26

Standpunkte und Meinungen

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Ticlopidin (14. Juni 1993)
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pharma-kritik, 15/No. 11
PK518
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