Orales Magnesium in der Schwangerschaft?

Übersicht

Magnesium gehört mit Eisen, Kalzium und einzelnen Vitaminen zu den Nahrungsbestandteilen, für welche ein erhöhter Bedarf während der Schwangerschaft propagiert wird. Der Magnesiumgehalt einer durchschnittlichen Kost beträgt zwischen 10 und 20 mmol pro Tag; besonders Gemüse und Getreide enthalten Magnesium.(1) Zwar besteht kein Grund zur Annahme, dass sich eine schwangere Frau in der Schweiz mit der Nahrung nicht genügend Magnesium zuführt. Dennoch nimmt die Magnesium- Plasmakonzentration oft im Verlaufe der Schwangerschaft (speziell im letzten Drittel) ab.
So findet sich in diesen Fällen im Vergleich mit Nichtschwangeren eine Hypomagnesiämie.(2-5) Verschiedene Untersuchungen sprechen dafür, dass es sich jedoch dabei nicht um einen eigentlichen Magnesiummangel handelt. Zudem lässt sich eine Hypomagnesiämie sowohl bei Frauen mit einer normalen Schwangerschaft als auch bei solchen mit Komplikationen (Hypertonie, Präeklampsie) beobachten. (5) Die Abnahme des Magnesiumspiegels könnte mit der im Verlauf der Schwangerschaft zunehmenden Hämodilution zusammenhängen. Dieser Schluss ist zulässig, da der Magnesiumspiegel eine signifikante Korrelation mit der Abnahme der Plasmaproteine zeigt.(5) Gemäss einer grossen dänischen Studie besteht kein Zusammenhang zwischen spontaner Magnesiumzufuhr, Magnesium- Plasmaspiegeln und Schwangerschaftskomplikationen.(6) Offen bleibt, ob in Einzelfällen dennoch andere Ursachen für eine Hypomagnesiämie berücksichtigt werden müssen. So könnten die Bedürfnisse des Feten oder auch eine erhöhte renale Ausscheidung(3) zu einem relativen Defizit führen.

Pharmakologie

Magnesium ist an verschiedenen Prozessen beteiligt, die der Steuerung der Muskelkontraktilität dienen. So ist Magnesium als Kofaktor aktiv bei enzymatischen Reaktionen, die zu einer Abnahme der Kalziumkonzentration im Inneren der Muskelzellen führen.(7,8) Da Kalzium in der glatten Muskulatur den wichtigsten Faktor zur Kontraktionsauslösung darstellt, ergibt die Senkung der Kalziumkonzentration im Zytosol eine Relaxation der Muskelzelle. Magnesium soll anderseits auch an der Aktivierung eines Enzymsystems beteiligt sein, das die Bildung von zyklischem Adenosinmonophosphat (AMP) fördert.(9-11) Auch dies begünstigt eine Muskelrelaxation, da das zyklische AMP hemmend auf den Kontraktionsablauf einwirkt Hochdosiertes intravenöses Magnesiumsulfat verstärkt daher die tokolytische Wirksamkeit von b2-Sympathomimetika, die ebenfalls zur Bildung von zyklischem AMP beitragen.(12) Magnesium soll zudem eine kardioprotektive Wirkung ausüben, die im Zusammenhang mit einer sympathomimetischen Wirkung an den b1-Rezeptoren des Myokards von Bedeutung sein kann. Klinisch hat sich Magnesium bei der Tokolyse sowohl in Kombination mit Betamimetika als auch allein als wirksam gezeigt.(13,14) Gut dokumentiert ist auch die Anwendung von intravenösem Magnesiumsulfat bei Präeklampsie und drohender Eklampsie.(15)

Gründe für eine orale Verabreichung

Aus der Beobachtung, dass Schwangere oft eine relative Hypomagnesiämie aufweisen, hat sich in den letzten Jahren die Tendenz entwickelt, jeder schwangeren Frau einen Magnesiummangel zuzuordnen. So stand bei der Verabreichung von Magnesium zunächst der Gedanke einer eigentlichen Substitution im Vordergrund. Berücksichtigt man zudem die beschriebenen Wirkungen von Magnesium, so können auch eine vorzeitige Wehentätigkeit (d.h. eine drohende Frühgeburt) und hypertensive Schwangerschaftserkrankungen in Verbindung mit einem Magnesiummangel gebracht werden. Einer Verabreichung von Magnesium käme also auch eine prophylaktische Wirkung zu. Die heute vorliegenden Studienresultate erlauben eine kritische Beurteilung dieser Annahmen.

Kontrollierte Studien

In einer Multizenterstudie erhielten 485 schwangere Frauen täglich 15 mmol Magnesium in Form von Magnesiumaspartat- Tabletten; in den meisten Fällen wurde die Behandlung im ersten Drittel der Schwangerschaft begonnen. Im Vergleich mit 500 Schwangeren, die Placebo erhielten, traten bei den aktiv behandelten Frauen signifikant (p< 0,05) weniger Frühgeburten und weniger hypertensive Erkrankungen auf.(16) Dieses Ergebnis wird allerdings durch die Tatsache relativiert, dass etwa die Hälfte der Frauen die Medikation nur unregelmässig einnahm. Zudem fanden sich für Schwangere, die ihr Medikament unregelmässig einnahmen, sowohl in der Magnesium- als auch in der Placebogruppe die ungünstigeren Resultate. Als Nachteil muss auch gewertet werden, dass nicht die einzelnen Probandinnen, sondern die Schwangerenberatungsstellen randomisiert wurden. Dennoch empfehlen die Autoren der Studie eine Magnesiumsubstitution bei allen Schwangeren.(16)
Eine vergleichbare Studie, in der 278 Frauen spätestens von der 16. Schwangerschaftswoche an Magnesium (15 mmol/Tag) erhielten, ergab ein ähnliches Resultat: Frauen, die Magnesium erhielten, mussten seltener hospitalisiert werden und hatten weniger Frühgeburten (Signifikanzniveau: p< 0,05) als solche, die nur Placebo erhielten. Unterschiede in bezug auf den Blutdruck fanden sich nicht.(17) Auch in dieser Studie ergaben sich Compliance- Probleme; die Aussagekraft der Studie wird zudem durch methodische Mängel (keine Randomisierung, keine echte Doppelblindstudie) reduziert.
Randomisiert war dagegen eine andere Studie, in welche 374 primigravide junge Frauen zwischen der 13. und 24. Schwangerschaftswoche aufgenommen wurden. Allen Frauen wurde ein kombiniertes Vitaminpräparat gegeben, das unter anderem etwa 4 mmol Magnesium enthielt. Bei je der Hälfte wurde für die weitere Schwangerschaft die Wirkung von zusätzlichem Magnesium (15 mmol/Tag) und Placebo verglichen. Dieser Vergleich ergab keinerlei signifikante Unterschiede zwischen den beiden Gruppen; weder der Blutdruck noch die Inzidenz von vorzeitiger Wehentätigkeit wurde fassbar von Magnesium beeinflusst.(18)
Eine eigene Untersuchung bei 490 Schwangeren schliesslich vermochte den Nutzen einer allgemeinen Magnesiumsubstitution ebenfalls nicht zu bestätigen. Zwar gab es in der mit täglich 15 mmol Magnesium behandelten Gruppe weniger Frühgeburten und mangelentwickelte Kinder; im Vergleich mit der Placebogruppe konnte aber kein signifikanter Unterschied festgestellt werden. Auch in der Häufigkeit hypertensiver Erkrankungen wurde kein Unterschied zwischen den mit Magnesium bzw. mit Placebo behandelten Frauen gesehen.(19)

Nicht-dokumentierte Wirkungen von Magnesium

In keiner der genannten Studien wurde eine Reduktion von allenfalls in der Schwangerschaft auftretenden Wadenkrämpfen dokumentiert. Wadenkrämpfe sind ein Problem, für das Magnesiumpräparate wiederholt mit scheinbar gutem Erfolg eingesetzt worden sind. Der korrekte Nachweis dieser Wirkung steht jedoch nach wie vor aus.
Nicht zu vergessen sei schliesslich die in der Schwangerschaft häufige und hartnäckige Obstipation, welche sich mit der üblichen Tagesdosis oraler Magnesiumpräparate (15 mmol) oft erfolgreich beheben lässt.

Schlussfolgerungen

Die von vielen Autoren beschriebene Abnahme des Magnesium- Plasmaspiegels in der normalen Schwangerschaft stellt einen zwar noch ungeklärten, jedoch physiologischen Prozess dar und ist nicht mit einem Magnesiummangel gleichzusetzen. Es ist zudem nicht nachgewiesen, dass eine Hypomagnesiämie eine Ursache von Schwangerschaftskomplikationen wie Präeklampsie oder vorzeitige Wehentätigkeit darstellt. Die Verabreichung von oralem Magnesium in kontrollierten Studien hat so widersprüchliche Resultate gezeitigt, dass diese Medikation nicht generell für alle Schwangeren in der ganzen Schwangerschaft empfohlen werden kann. Möglich ist jedoch, dass bestimmte Risikopatientinnen von oralem Magnesium profitieren.

Als sinnvoll können insbesondere die folgenden Anwendungen gelten:
-- Die orale Verabreichung im Anschluss an eine intravenöse Magnesiumbehandlung, die wegen akut drohender Frühgeburt oder Präeklampsie notwendig wurde
-- Die Verabreichung zur Wirkungsverstärkung und Kardioprotektion bei der Tokolyse mit intravenösen Betamimetika
-- Die Substitution bei Schwangeren, die sich manifest einseitig- magnesiumarm ernähren.

Im Einzelfall kann die orale Magnesiumgabe auch zur Prophylaxe bei Multigravidae, die bei früheren Schwangerschaften Frühgeburtsbestrebungen hatten, in Betracht gezogen werden. Auch bei Wadenkrämpfen und zur Stuhlregulation kann Magnesium versuchsweise zum Einsatz gelangen.

Als Tagesdosis gelten 15 bis 20 mmol Magnesiumaspartat als gut verträglich. Diese Dosis wirkt sich auf den Stuhlgang aus, verursacht aber in der Regel keinen Durchfall. Die meisten im Handel erhältlichen oralen Präparate enthalten 5 mmol Magnesium pro galenische Einheit.

Literatur

  1. 1) Aikawa JK. World Rev Nutr Diet 1978; 28: 112-42
  2. 2) DeJorge FB et al. Obstet Gynecol 1965; 25: 253-4
  3. 3) Spätling L et al. Magnesium Bull 1985; 3: 91-3
  4. 4) Kurzel RB. Am J Perinatol 1991; 8: 119-27
  5. 5) Seydoux J et al. Br J Obstet Gynaecol 1992; 99: 207-11
  6. 6) Skajaa K et al. Br J Obstet Gynaecol 1991; 98: 919-28
  7. 7) Paul RJ, Rüegg JC. Am J Physiol 1988; 255: C465-72
  8. 8) Eggermont JA et al. Biomed Biochim Acta 1989; 48: 370-81
  9. 9) Krawietz W, Erdmann E. Magnesium Bull 1979; 3: 183-6
  10. 10) Meisheri KD, McNeill JH. Can J Physiol Pharmacol 1979; 57: 1177-82
  11. 11) von Mandach U et al. Br J Clin Pharmacol 1993: 35: 324-6
  12. 12) Wischnik A et al. in Weidinger H, ed. Magnesium und Schwangerschaft. Weinheim: Beltz-Verlag, 1983; 137-43
  13. 13) Ferguson JE et al. Am J Obstet Gynecol 1984; 148: 166-71
  14. 14) Hollander DI et al. Am J Obstet Gynecol 1987; 156: 631-7
  15. 15) Pritchard JA et al. Am J Obstet Gynecol 1984; 148: 951-63
  16. 16) Kovács L et al. Geburtsh Frauenheilk 1988; 48: 595-600
  17. 17) Spätling L, Spätling G. Br J Obstet Gynaecol 1988; 95: 120-5
  18. 18) Sibai BM et al. Am J Obstet Gynecol 1989; 161: 115-9
  19. 19) von Mandach U et al. in Weidinger H, ed. Bioelemente und Schwangerschaft. Berlin: Blackwell Wissenschaft, 1992; 130-5

Standpunkte und Meinungen

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Orales Magnesium in der Schwangerschaft? (14. November 1992)
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