Teicoplanin

Synopsis

Teicoplanin (Targocid®) ist ein neues Glykopeptid-Antibiotikum, das vor allem gegen gram-positive Kokken wirksam ist.

Chemie/Pharmakologie

Teicoplanin ist ein Produkt von Actinoplanes teichomyceticus; es ist aus fünf antibiotisch wirksamen Glykopeptiden aufgebaut. Die Strukturformel zeigt Ähnlichkeit mit derjenigen von Vancomycin (Vancocin®), dem Prototyp der Glykopeptid-Antibiotika. Auch in seiner antibiotischen Wirksamkeit unterscheidet sich Teicoplanin nicht wesentlich von Vancomycin. In vitro ist Teicoplanin wirksam gegen die meisten gram-positiven Bakterien. In der Regel gut empfindlich sind Streptokokken, die meisten Staphylokokken (auch Methicillin-resistente Stämme) sowie Clostridien. Mässig empfindlich sind Enterokokken; gram-negative Bakterien sind in der Regel resistent.
Resistenzentwicklungen gegen Vancomycin wurden in den dreissig Jahren seit seiner Einführung nur selten beobachtet. Einige Vancomycin-resistente Stämme von Staphylokokken und Enterokokken, die in den letzten Jahren isoliert wurden, waren in der Regel kreuzresistent gegen Teicoplanin.(1)

Pharmakokinetik

Wie Vancomycin wird Teicoplanin aus dem Magen-Darm- Kanal kaum resorbiert. Ausser der intravenösen ist eine intramuskuläre Applikation von Teicoplanin möglich, da diese weniger schmerzhaft ist als bei Vancomycin. Etwa 90% der intramuskulär injizierten Dosis werden systemisch verfügbar; maximale Plasmaspiegel sind etwa drei bis vier Stunden nach der Injektion erreicht. Therapeutische Plasmaspiegel können auch erreicht werden, wenn Teicoplanin der Dialyselösung bei der «kontinuierlichen ambulanten Peritonealdialyse» (CAPD) beigegeben wird. Wirksame Konzentrationen werden in den meisten Organen, ausser im zentralen Nervensystem, erreicht.
Teicoplanin wird fast ausschliesslich renal eliminiert. Die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt bei Nierengesunden etwa 45 bis 70 Stunden. Anders als Vancomycin (Halbwertszeit im Mittel etwa 6 Stunden) kann Teicoplanin deshalb in einer einmaligen täglichen Dosis verabreicht werden. Bei täglicher Verabreichung kumuliert Teicoplanin im Plasma, ein Fliessgleichgewicht wird nach 7 bis 10 Tagen erreicht. Um diesen Zeitraum zu verkürzen, kann die Initialdosis verdoppelt werden.
Eine Abnahme der glomerulären Filtrationsrate im Alter oder bei Niereninsuffizienz führt zu einer Verlängerung der Halbwertszeit, weshalb die Erhaltungsdosis oder das Dosierungsintervall angepasst werden müssen. Teicoplanin ist nicht dialysierbar.(2)

Klinische Studien

Eine ganze Anzahl von klinischen Studien zur Anwendung von Teicoplanin ist publiziert worden, darunter aber nur wenige Vergleichsstudien.
In einer Multizenterstudie wurden über 1300 Personen mit verschiedenartigen Infektionen durch gram-positive Erreger intravenös oder intramuskulär mit Teicoplanin behandelt. Am häufigsten waren es Haut- oder Weichteilinfektionen, gefolgt von Sepsis, Infektionen von Knochen oder Gelenken und anderen Infektionen. Als Initialdosis wurden meist 400 mg, als Erhaltungsdosis 200 mg/24 h, bei schweren Infektionen 400 mg/24 h appliziert. Bei insgesamt 92% der Behandelten konnte die Infektion klinisch geheilt oder gebessert werden. 28% aller Kranken erhielten allerdings zusätzlich mindestens ein weiteres Antibiotikum (meist Aminoglykoside, Rifampicin oder b-Laktam- Antibiotika).(3)
Eine zweite, ähnliche Studie bei 219 Personen zeigt vergleichbare Resultate. 87% der Behandelten wurden klinisch geheilt, 35% erhielten zusätzliche Antibiotika.(4)

Endokarditis, Sepsis

In einer frühen Vergleichsstudie bei Personen mit schweren Staphylokokken-Infektionen war Teicoplanin (Initialdosis 400 mg, Erhaltungsdosis 200 mg/24 h) deutlich weniger wirksam als Flucloxacillin (Floxapen®; 2 g/6 h). Die Heilungsrate für Teicoplanin lag unter 50%, weshalb die Studie nach 18 Behandlungen abgebrochen wurde. Die Teicoplanin-Spiegel im Plasma waren deutlich niedriger als erwartet und zeigten ausserdem eine grosse interindividuelle Streuung.(5)
Im Gegensatz dazu wurden in einer der erwähnten Multizenterstudien3 von 48 Personen mit Endokarditis, die mit Teicoplanin als einzigem Antibiotikum behandelt wurden, 79% klinisch geheilt, ebenso wie 85% der 48 Personen mit Staphylokokken-Bakteriämie. Die Erhaltungsdosis betrug 200 oder 400 mg/24 h. Am häufigsten versagte die Behandlung, wenn bei Infektionen mit Staphylococcus aureus die niedrigere Dosis verabreicht wurde.(6)

Infektionen bei Immungeschwächten

Bei Patienten mit malignen Erkrankungen, die unter zytostatischer Behandlung stehen, gehören heute gram-positive Kokken (vor allem Staphylococcus epidermidis und Staphylococcus aureus) zu den häufigsten Infektionserregern. Vancomycin ist wirksam in der Behandlung solcher Infektionen; umstritten ist aber, ob ein gegen Staphylokokken wirksames Antibiotikum prophylaktisch oder bei Verdacht oder erst nach bakteriologischer Bestätigung einer Staphylokokken-Infektion eingesetzt werden soll.(7)
In einer Studie wurde Teicoplanin bei 74 immungeschwächten Personen ohne Granulozytopenie mit Vancomycin verglichen. Die Vancomycin-Dosis betrug 1 g/12 h, diejenige von Teicoplanin 400 mg/24 h für drei Tage und danach 200 mg/24 h oder dreimal 400 mg am ersten Tag und danach 400 mg/24 h. Beide Antibiotika waren praktisch gleich wirksam. Auch zwischen den beiden Dosierungen von Teicoplanin ergab sich kein signifikanter Unterschied. (8) In einer anderen Studie wurden Teicoplanin und Vancomycin als Zweitsubstanzen in der empirischen Behandlung von Fieber bei Granulozytopenie verglichen. 59 Leukämie-Patienten, die unter Behandlung mit Ceftazidim (Fortam®) nicht innerhalb von 48 bis 72 Stunden fieberfrei geworden waren, erhielten zusätzlich Teicoplanin oder Vancomycin. Die beiden Kombinationen führten in 54% bzw. 60% der Fälle zu einer klinischen Heilung.(9) Eine dritte Studie diente dem Vergleich von Teicoplanin und Vancomycin bei 59 immungeschwächten Personen mit Infektion eines implantierten zentral-venösen Kathetersystems (Hickman-Katheter). Unter Teicoplanin wurden 69%, unter Vancomycin 80% der Behandelten klinisch geheilt, ohne dass der Katheter entfernt werden musste (Unterschied nicht signifikant). Die Mehrzahl der Behandelten erhielt wegen einer Neutropenie zusätzlich Gentamicin (Garamycin® u.a.) und Piperacillin (Pipril®).(10)

Weitere Indikationen

Wenig dokumentiert ist bisher die Behandlung mit Teicoplanin bei CAPD-Patienten mit Peritonitis. Eine Studie bei 12 erkrankten Personen lässt vermuten, dass Teicoplanin wirksam ist.(11) Eine Bestätigung durch grössere Studien und Vergleichsstudien mit Vancomycin stehen noch aus. Ungenügend dokumentiert ist ausserdem die Anwendung bei Kindern(12) sowie die perorale Behandlung der pseudomembranösen Kolitis durch Clostridium difficile, einer weiteren Indikation von Vancomycin.

Unerwünschte Wirkungen

Insgesamt wurden in der grössten Teicoplanin-Studie bei 189 von 1431 Behandelten (13%) unerwünschte Wirkungen registriert. Am häufigsten waren lokale Reaktionen am Injektionsort, allergische Reaktionen, Erhöhung der Leberzellenzyme im Plasma und hämatologische Veränderungen. Anaphylaktoide Reaktionen, Innenohr- und Nierenschädigungen wurden vereinzelt beobachtet.(3) Teicoplanin verursacht weniger anaphylaktoide Reaktionen (sog. «Red Neck Syndrome») als Vancomycin und kann deshalb rascher infundiert werden. In den offenen Vergleichsstudien mit Vancomycin waren unerwünschte Wirkungen unter Teicoplanin auch insgesamt seltener.(13) Die Zahlen sind allerdings klein, die Dosierung von Teicoplanin war nicht einheitlich und teilweise wurden noch ältere, weniger reine Vancomycin-Präparate verwendet.(8) Ob und wie häufig Kreuzallergien auf Teicoplanin und Vancomycin auftreten, ist umstritten.(14) Interaktionen: Teicoplanin und Aminoglykoside sind in Lösungen inkompatibel und können deshalb nicht in einer Infusion gemischt werden. Arzneimittel-Interaktionen in vivo sind zur Zeit noch keine bekannt.(2)

Dosierung/Verabreichung/Kosten

Teicoplanin (Targocid®) ist (zur Anwendung im Spital) als Ampullen zu 200 mg oder 400 mg erhältlich. Bei schweren Staphylokokken-Infekten sollen am ersten Behandlungstag zwei Dosen, an den folgenden Tagen jeweils eine Dosis von 6 mg/kg (ungefähr 400 mg) verabreicht werden. Als wirksam gelten Plasmaspiegel über 10 mg/L. Wegen der grossen interindividuellen Streuung der Werte empfiehlt sich eine Kontrolle der Plasmaspiegel bei Schwerkranken. Teicoplanin und Vancomycin (Vancocin® CG) sind praktisch gleich teuer. Die Kosten, die für das Spital durch eine zehntägige Verabreichung entstehen, liegen zwischen 1200 und 1400 Franken.

Kommentar

Die Behandlung von schweren Staphylokokken-Infekten ist heute wegen der vermehrten Resistenzen auf die «Antistaphylokokken-Penicilline» (z.B. Flucloxacillin) schwieriger geworden. Ein Medikament, das ebenso wirksam wie Vancomycin und gleichzeitig weniger toxisch ist, wäre sicherlich ein Fortschritt und käme vor allem der steigenden Anzahl von Menschen mit CAPDKathetern, Herzklappenprothesen und anderen Implantaten zugute. Ob Teicoplanin diese Bedingungen in der Klinik erfüllt, ist noch nicht abzuschätzen. Die Erfahrungen mit den höheren Dosen, die bei schweren Staphylokokken-Infekten benötigt werden, sind noch gering. Um eine bessere Verträglichkeit überzeugend zu dokumentieren, sind weitere Studien mit dieser höheren Dosierung von Teicoplanin vonnöten.

Literatur

  1. 1) Campoli-Richards DM et al. Drugs 1990; 40: 449-86
  2. 2) Rowland M. Clin Pharmacokin 1990; 18: 184-209
  3. 3) Lewis P et al. J Antimicrob Chemother 1988; 21 (Suppl A): 61-7
  4. 4) Lang E et al. Scand J Infect Dis Suppl 1990; 72: 54-60
  5. 5) Calain P et al. J Infect Dis 1987; 155: 187-91
  6. 6) Davey PG, Williams AH. J Antimicrob Chemother 1991; 27 (Suppl B): 43-50
  7. 7) Rubin M et al. Ann Int Med 1988; 108: 30-5
  8. 8) Van der Auwera P et al. Antimicrob Agents Chemother 1991; 35: 451-7
  9. 9) Cony-Makhoul P et al. Br J Haematol 1990; 76 (Suppl 2): 35-40
  10. 10) Smith SR et al. Antimicrob Agent Chemother 1989; 33: 1193-7
  11. 11) Neville LO et al. J Antimicrob Chemother 1988; 21 (Suppl A): 123-31
  12. 12) Dagan R et al. J Antimicrob Chemother 1991; 27 (Suppl B): 37-41
  13. 13) Davey PG, Williams AH. J Antimicrob Chemother 1991; 27 (Suppl B): 69-73
  14. 14) Schlemmer B et al. N Engl J Med 1988; 318: 1127-8

Standpunkte und Meinungen

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Teicoplanin (14. Juli 1991)
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