Multiples Myelom
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 38
, Nummer 6, PK996
Redaktionsschluss: 1. September 2016
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2016.996 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Das multiple Myelom (oder Plasmazellmyelom, wie die heutige WHO-Bezeichnung lautet) ist eine klonale B-Zell-Erkrankung, die durch eine Vermehrung reifer Plasmazellen charakterisiert ist. Die maligne Transformation der Plasmazellen lässt sich in den meisten Fällen auf zytogenetische Veränderungen zurückführen (Chromosomenaberrationen wie z.B. Trisomien oder Translokationen im Bereich des Schwerketten-Genlokus); die Proliferation der Plasmazellen wird zusätzlich gefördert durch Prozesse, die im Knochenmark in anderen Immun- und in Stromazellen stattfinden. Als Folge der Plasmazell-Proliferation werden monoklonale Immunglobuline gebildet, die sogenannten Paraproteine. Sie liegen am häufigsten als intakte Immunglobuline vor; Immunglobulin-Fragmente findet man, wenn im Überschuss nur leichte oder schwere Ketten produziert werden. Paraproteine fallen in der Eiweiss-Elektrophorese als Zacken (M-Gradient) auf; mit der Immunfixation lässt sich festlegen, ob der M-Gradient monoklonaler Herkunft ist und welchem Immunglobulin er entspricht. Leichte Ketten, auch als Bence-Jones-Protein bezeichnet, sind nierengängig und werden via Urin ausgeschieden. Bis zu 60% der multiplen Myelome bilden als Paraprotein IgG, 20% IgA und 15% nur Leichtketten-Fragmente; der Rest verteilt sich auf die anderen Immunglobuline und auf die Fälle, bei denen kein Paraprotein produziert oder sezerniert wird.
Das multiple Myelom entwickelt sich über prämaligne Vorstufen, die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) und das asymptomatische («smoldering») Myelom. Die – vereinfachten – Kriterien, wie sich MGUS, asymptomatisches Myelom und das ausgebildete multiple Myelom voneinander abgrenzen, sind in Tabelle 1 aufgeführt. Das Jahresrisiko einer Transformation in ein symptomatisches Myelom beträgt bei der MGUS ungefähr 1%, beim asymptomatischen Myelom bis 10%. In beiden Fällen sind ausser regelmässigen Kontrollen keine speziellen Interventionen angezeigt. Bei den asymptomatischen Myelomen gibt es allerdings «Hochrisiko»-Formen, die relativ oft und rasch in ein symptomatisches multiples Myelom übergehen. Für diese Untergruppe gibt es Daten, dass sich eine frühzeitige Behandlung in einer verbesserten Überlebenswahrscheinlichkeit auszahlt.(1)
Knapp ein Drittel der Myelomkranken haben initial keine Beschwerden. Bei den anderen gehören Knochenschmerzen zu den häufigsten Symptomen, ausgelöst durch Osteolysen oder osteoporoseartige Veränderungen, die durch eine zytokinvermittelte Osteoklasten-Aktivierung und Osteoblasten-Hemmung verursacht werden; Osteolysen können zu Frakturen, Hyperkalzämie und Rückenmarkskompression führen. Typisch ist auch eine Anämie. Immunglobulin-Fragmente sind nephrotoxisch, woraus sich eine Niereninsuffizienz entwickeln kann. Ebenfalls auf die Paraproteinämie zurückzuführen sind eine periphere Neuropathie, sekundäre Amyloidose oder ein Hyperviskositätssyndrom. Wegen der eingeschränkten Immunabwehr sind Myelomkranke anfälliger auf bakterielle Infekte.
Für die Diagnose eines multiplen Myeloms müssen Blut, Urin und Knochenmark analysiert werden. Obligat ist die radiologische Untersuchung des Skeletts, um Knochenläsionen zu identifizieren, wobei heute bereits als primäre Abklärung ein Ganzkörper-CT oder -MRT befürwortet wird.(2,3) Mit einer Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) des Knochenmarkaspirats lassen sich die spezifischen zytogenetischen Veränderungen dokumentieren, die eine prognostische Klassifikation erlauben und dadurch die Intensität einer Behandlung mitbestimmen. Ebenfalls prognostische Bedeutung haben das β2-Mikroglobulin und die Laktatdehydrogenase (LDH), welche die Tumormasse und -aktivität widerspiegeln. Zur Stadieneinteilung stützt man sich heute mehrheitlich auf die erweiterte ISS-Klassifikation («International Staging System»), in der Elemente von Tumormasse und -biologie vereinigt sind (vgl. Tabelle 2).
Behandlung des multiplen Myeloms
Aus der Diagnose eines multiplen Myeloms ergibt sich die Indikation zur Behandlung. Zwar ist das Myelom nach wie vor als unheilbare Krankheit zu betrachten; durch eine Therapie lässt sich aber eine Besserung der Symptome und eine Verlängerung der Überlebenszeit erhoffen. Auch auf Folgetherapien sprechen viele Patienten und Patientinnen an, wenn (wieder) ein Rückfall eingetreten ist. Die Behandlungsstrategie hängt ab vom Alter und Allgemeinzustand der betroffenen Person, vom Krankheitsstadium sowie von den potentiellen Nebenwirkungen, die in Kauf genommen werden können.
Die Behandlung des multiplen Myeloms hat sich stark verändert, seit mehrere neue, auch die Prognose verbessernde Medikamente eingeführt worden sind. Zur Therapie des multiplen Myeloms stehen gegenwärtig folgende Substanzgruppen zur Verfügung: (1) Steroide (Prednison, Dexamethason); (2) Alkylantien (Melphalan [Alkeran®], Cyclophosphamid [Endoxan®], Bendamustin [Ribomustin®]); (3) andere Zytostatika (Doxorubicin [Adriblastin® u.a.], Vincristin [Oncovin® u.a.]); (4) Immunmodulatoren (Thalidomid, Lenalidomid [Revlimid®], Pomalidomid [Imnovid®]); (5) Proteasomenhemmer (Bortezomib [Velcade®], Carfilzomib [Kyprolis®], Ixazomib); (6) Histondeazetylase-Hemmer (Panobinostat [Farydak®]); (7) monoklonale Antikörper (Daratumumab, Elotuzumab). Die Gruppen (1) bis (3) umfassen die seit langem eingesetzten Medikamente, die Gruppen (4) bis (7) die neueren bzw. ganz neuen Substanzen. Bei den heutigen Therapieschemen werden in der Regel ältere Medikamente mit neueren kombiniert; dabei haben sich verschiedene Kombinationen als geeignet erwiesen, so dass man keine eindeutige Standardbehandlung definieren kann. Neben medizinischen Kriterien hängt die Wahl der Medikamente auch von deren Verfügbarkeit sowie vom Behandlungszentrum ab, das zum Beispiel in einer klinischen Studie involviert ist.
Im Folgenden sollen die neueren Medikamente kurz vorgestellt, anschliessend die heutigen Behandlungsrichtlinien besprochen und zuletzt die ergänzenden Massnahmen erwähnt werden.
Neuere Substanzen
Die oral verabreichbaren Immunmodulatoren haben entzündungs- und angiogenesehemmende Eigenschaften und stimulieren zytotoxische T-Zellen. Prototyp ist Thalidomid (Tha), das bei der Erstbehandlung für eine gewisse Zeit eine wichtige Rolle gespielt hat, als relativ schlecht verträgliche Substanz in der Schweiz aber in den Hintergrund gerückt ist. Lenalidomid (Len) ist ein Thalidomid-Derivat, das sich bislang vor allem in Zweierkombination mit Dexamethason (Dex) bewährt hat und in dieser Weise auch zur Erstbehandlung eingesetzt wird. Bei der Myelom-Erstbehandlung kann sowohl mit Thalidomid wie mit Lenalidomid eine verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit erreicht werden.(4) Pomalidomid (Pom), das chemisch 4-Amino-Thalidomid entspricht, ist zugelassen zur Drittbehandlung. Grundlage bildet eine Phase-III-Studie, in der sich bei fortgeschrittenem Myelom mit PomDex eine progressionsfreie Überlebenszeit von 4,0 Monaten ergab, gegenüber 1,9 Monaten mit alleinigem Dexamethason.(5) Die häufigsten Nebenwirkungen der Immunmodulatoren sind Sedation, Obstipation, Knochenmarksdepression, periphere Neuropathien, Juckreiz und andere Hautreaktionen. Ausserdem erhöhen sie die Thromboembolie-Gefahr, so dass bei weiteren Risikofaktoren eine Thromboembolieprophylaxe durchzuführen ist. Alle drei Substanzen sind stark teratogen.
Proteasomenhemmer interagieren mit dem 26S-Proteasom, einem grossen intrazellulären Proteinkomplex, wodurch wachstumsfördernde und anti-apoptotische Prozesse gebremst werden. Erster Vertreter dieser Substanzgruppe war Bortezomib (Bor), für das ebenfalls nachgewiesen ist, dass es bei einer Erstbehandlung die Gesamtüberlebenszeit signifikant verlängert.(6) Carfilzomib (Car) ist ein neuer Proteasomenhemmer und zugelassen zur Zweittherapie in Kombination mit LenDex – was sich auf eine randomisierte Studie stützt, in der man nach einem Myelomrückfall mit der Dreierkombination CarLenDex eine progressionsfreie Überlebenszeit von 26,3 Monaten erreichte, im Gegensatz zu 17,6 Monaten in der nur mit LenDex behandelten Kontrollgruppe.(7) Ixazomib ist ein oral verabreichbarer Proteasomenhemmer, der kürzlich in den USA zur Zweittherapie zugelassen worden ist, basierend auf einer Studie, in der sich die progressionsfreie Überlebenszeit durch die Zugabe von Ixazomib zu LenDex von 14,7 auf 20,6 Monate steigern liess.(8) Bei Proteasomenhemmern kommen mannigfache Nebenwirkungen vor wie gastrointestinale Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Obstipation), Müdigkeit, Thrombozytopenie, Neutropenie, Herzinsuffizienz, Blutdruckveränderungen, muskuloskelettale Schmerzen und vor allem eine Neuropathie. Wie die Erfahrungen mit Bortezomib zeigen, wirkt die Neuropathie, die von Fachleuten als relevantes Problem angesehen wird, oft dosislimitierend; deshalb sollte Bortezomib nur noch subkutan statt intravenös verabreicht werden, wodurch das Neuropathie-Risiko gesenkt werden kann.
Eine Hemmung von Histondeazetylasen, wie es durch Panobinostat erzielt wird, bremst in den Myelomzellen die Zellteilung und fördert die Apoptose. Panobinostat ist geprüft zur Dritttherapie in Kombination mit BorDex, womit sich im Vergleich zur alleinigen BorDex-Behandlung die progressionsfreie Überlebenszeit von 8,1 auf 12,0 Monate verlängern liess.(9)
Es gibt auch zwei monoklonale Antikörper, die bislang in den USA zugelassen sind. Daratumumab ist ein Antikörper, der gegen das transmembranäre Protein CD38 gerichtet ist, das in Myelomzellen verstärkt gebildet wird. Das Medikament ist allerdings erst in einer Phase-III-Studie geprüft worden; wie sie zeigte, verbessert Daratumumab bei vorbehandelten Myelomkranken in Kombination mit BorDex das Ansprechen signifikant.(10) Elotuzumab bindet sich an SLAMF7 («signaling lymphocytic activation molecule F7»), einen an der Zelloberfläche sitzenden Glykoprotein-Rezeptor, der von Myelomzellen ebenfalls stark exprimiert wird, und aktiviert natürliche Killerzellen und die Freisetzung zytotoxischer Substanzen. In einer randomisierten Studie, die bei vorbehandelten Individuen durchgeführt worden ist, konnte mit Elotuzumab in Kombination mit LenDex die progressionsfreie Überlebenszeit von 14,9 auf 19,4 Monate verlängert werden.(11)
Konventionelle Chemotherapie
Der grössere Teil der Myelomkranken ist über 65 bis 70 Jahre alt und mit Zusatzdiagnosen belastet, so dass lediglich eine konventionelle und keine Hochdosis-Chemotherapie in Frage kommt. Für diese Patientengruppe bildete die Kombination Melphalan/Prednison (MP) lange Zeit die Standardbehandlung. Heute wird MP mit einem Immunmodulator oder Proteasomenhemmer kombiniert. Durch die Zugabe von Thalidomid (ThaMP) lässt sich, wie eine Metaanalyse zeigte, die Gesamtüberlebenszeit im Median von 32,7 auf 39,3 Monate verlängern.(12) Auch die Kombination mit Bortezomib (BorMP) verbessert die Prognose; in einer randomisierten Studie konnte damit die 5-Jahresüberlebensrate von 34 auf 46% erhöht werden.(13)
Es existieren mehrere andere Chemotherapie-Schemen in Form einer Dreier- oder Viererkombination. Die Varianten beruhen darauf, dass man beispielsweise Melphalan durch Cyclophosphamid ersetzt, Prednison durch Dexamethson oder Thalidomid durch Lenalidomid oder dass man eine Kombination wählt, die sowohl Thalidomid (oder Lenalidomid) als auch Bortezomib enthält. ThaMP und BorMP sind aber die beiden am besten dokumentierten Behandlungsschemen. Eine Kombination von Immunmodulator plus Bortezomib ist vor allem bei ungünstigen Prognosefaktoren in Erwägung zu ziehen.
Auch neue Zweierkombinationen haben sich etabliert. LenDex zeigte in einer randomisierten Studie sogar einen besseren Effekt auf die Überlebenswahrscheinlichkeit als ThaMP, wobei die Wirkung am ausgeprägtesten war in der Gruppe, die LenDex bis zum Fortschreiten der Krankheit als Dauerbehandlung bekommen hatte.(14) BorDex wird ebenfalls als eine valable Option genannt.
Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzellersatz
Personen bis ungefähr 70 Jahre, die ausser dem Myelom keine relevanten anderen Erkrankungen aufweisen, kann man eine Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzellersatz anbieten. Die Hochdosis-Chemotherapie wird im Anschluss an eine primäre, tumorzellreduzierende Behandlung (Induktionstherapie) durchgeführt, und zwar üblicherweise mit hochdosiertem Melphalan. (Bei weniger belastbaren Personen kann die Konditionierung mit einer niedrigeren Melphalan-Dosis durchgeführt werden [«Mini-Transplant»]). Wegen der starken Myelosuppression erfordert die Hochdosis-Chemotherapie eine autologe Transplantation von Stammzellen. Die Hochdosis-Chemotherapie verbessert die progressionsfreie Überlebenszeit, selbst im Vergleich zu einer konventionellen Therapie mit einer «modernen» Dreierkombination (LexBorDex).(15)
Offen sind die Fragen, ob eine kurze Konsolidierungsbehandlung im Anschluss an die Stammzelltransplanation einen Überlebensvorteil bietet(16) und ob sich die Aussichten einer Hochdosis-Chemotherapie verbessern lassen, wenn sie in Form von zwei Zyklen durchgeführt wird («Tandemtransplantation»).(17)
Die allogene Stammzelltransplantation, die den zusätzlichen Nutzen eines «Graft-versus-myeloma»-Effekts beinhalten soll, steht ebenfalls in Diskussion. Sie ist aber mit einer relativ hohen Mortalität belastet, und die Daten sind nicht überzeugend genug, um diese Behandlung ausserhalb klinischer Studien vorzuschlagen.
Für die Induktionstherapie war lange Zeit die Kombination Vincristin/Doxorubicin/Dexamethason (VAD) gebräuchlich. Therapien, in denen ein Immunmodulator oder ein Proteasomenhemmer zusammen mit Dexamethason und allenfalls einem Zytostatikum verabreicht werden, führen jedoch zu besseren Ansprechraten.(18) Beispiele solcher Kombinationen sind: ThaDex ± Doxorubicin oder Cyclophosphamid; LenDex; BorDex ± Doxorubicin oder Cyclophosphamid. Noch wirksamer als ThaDex ist die Dreierkombination BorThaDex. Ob diese verschiedenen neuen Schemen Unterschiede hinsichtlich Überlebenswahrscheinlichkeit erwarten lassen, ist nicht geklärt. Die besten Ergebnisse bei Ansprechrate und progressionsfreier Überlebenzeit scheint man durch eine Kombination von BorDex mit einem Immunmodulator oder einem Zytostatikum zu erzielen, so dass solche Schemen heute favorisiert werden.(3,19) Letztlich wird die Wahl der Induktionstherapie aber ebenfalls durch die individuellen Gegebenheiten bestimmt.
Erhaltungstherapie
Bei der Behandlung des multiplen Myeloms sinkt das M-Protein bis zu einem Plateau, das auch durch ein Weiterführen der Therapie nicht zu beeinflussen ist. Die Remissionsphase lässt sich aber verlängern, wenn man eine Erhaltungsbehandlung durchführt. Früher verwendete man hierfür Steroide oder Interferon; beide Varianten vermochten aber im Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht zu überzeugen. Heute stehen für eine Erhaltungstherapie vor allem Immunmodulatoren oder Bortezomib im Vordergrund. Eine Thalidomid-Erhaltungstherapie verbessert die progressionsfreie Überlebens- und wahrscheinlich auch die Gesamtüberlebenszeit, und für Bortezomib weisen die Ergebnisse in die gleiche Richtung.(20) Zu Lenalidomid existiert eine aktuelle Metaanalyse, die zeigt, dass eine Erhaltungstherapie nach Hochdosis-Chemotherapie die Gesamtüberlebensrate erhöht.(21) Dem stehen allerdings die Nebenwirkungen dieser drei Substanzen gegenüber, die bei längerer Anwendung limitierend sein können (bei Lenalidomid wurde zum Beispiel auch eine erhöhte Rate an Zweittumoren beobachtet,(22) wobei die möglichen Mechanismen nicht klar sind). Eine Erhaltungstherapie lässt sich deshalb nicht als allgemeine Richtlinie festlegen, sondern muss im Einzelfall beurteilt werden.
Rückfallbehandlung
Das Vorgehen bei einem Rückfall hängt von der Remissionsdauer und der vorangegangenen Therapie ab. Eine Wiederholung der Erstbehandlung kann erwogen werden, wenn die Remission mindestens ein Jahr angehalten hat. Unter Umständen kann bei einem Rückfall auch eine (nochmalige) Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzellersatz in Frage kommen. Generell haben sich bei der Rückfallbehandlung die Möglichkeiten erweitert, seit neue Medikamente wie Carfilzomib, Pomalidomid oder Panobinostat zur Zweit- oder Drittbehandlung zur Verfügung stehen; auch Ixazomib, Daratumumab und Elotuzumab – die Substanzen, die momentan erst in den USA auf dem Markt sind – lassen sich hier anführen. Mit diesen neuen Medikamenten kann man die progressionsfreie Überlebenszeit beim fortgeschrittenen Myelom im Durchschnitt um einige Monate verlängern; ob auch ein Gewinn in Bezug auf die Gesamtüberlebenszeit erwartet werden kann, ist noch nicht festgelegt.
Bisphosphonate
Bisphosphonate wirken beim multiplen Myelom «knochenschützend», indem sie die Osteoklasten hemmen. Wie in einer Cochrane-Zusammenfassung nachgewiesen, reduzieren Bisphosphonate bei vorbestehenden Osteolysen das Auftreten von Knochenschmerzen und neuen Wirbelfrakturen signifikant. Keinen signifikanten Einfluss haben sie dagegen auf die Inzidenz von nicht-vertebralen Frakturen, von Hyperkalzämien und auf die Mortalität. Analysiert man die Ergebnisse im Einzelnen, fällt auf, dass mit Zoledronat (Zometa® u.a.) in Direktvergleichen mit Placebo und mit Clodronat doch ein Überlebensvorteil erzielt wurde. Bei den Nebenwirkungen, mit denen unter Bisphosphonaten vor allem zu rechnen ist, handelt es sich um gastrointestinale Symptome, Hypokalzämien und Kieferosteonekrosen.(23)
Bisphophonate werden beim multiplem Myelom empfohlen, wenn eine Knochenbeteiligung vorliegt (in der Schweiz sind dafür einzig Pamidronat [Aredia® u.a.] und Zoledronat zugelassen). Es gibt auch Richtlinien, die unabhängig von der Knochenbeteiligung zur Bisphosphonat-Gabe raten.(24) Die Behandlung mit einem Bisphosphonat sollte gemäss Expertenmeinung mindestens zwei Jahre lang durchgeführt werden.
Supportivmassnahmen
Mit einer Radiotherapie kann man Skelettschmerzen lindern, drohende Frakturen verhindern und Rückenmarkskompressionen behandeln. Bei Wirbelfrakturen kann auch eine Vertebro- oder Kyphoplastie zur Schmerzlinderung beitragen.
Bei allen Myelomkranken sollen Pneumokokken- und Influenzaimpfungen durchgeführt und der Hepatitis-B/C-Status überprüft werden. Unter Bortezomib wurden vermehrte Fälle von Herpes zoster beobachtet, weshalb eine niedrigdosierte medikamentöse Prophylaxe mit Aciclovir (Zovirax® u.a.) oder einem seiner Derivate nahegelegt wird. Wenn über längere Zeit ein Steroid verabreicht wird, ist an eine Prophylaxe gegen Pneumocystis jirovecii zu denken.
Schlussfolgerungen
Eine Behandlung beim multiplen Myelom vermag die Krankheit zwar nicht zu heilen, jedoch wesentlich zu einer Symptomlinderung und Verlängerung der Überlebenszeit beizutragen. Dank neuer Medikamente wie den Immunmodulatoren (Thalidomid u.a.) und den Proteasomenhemmern (Bortezomib u.a.) hat sich die Prognose verbessert. Folge ist allerdings ein immenser Anstieg der Therapiekosten; für alle neuen Medikamente, die bislang in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind, liegt der Preis in einer Grössenordnung von 5000 bis 10'000 Franken pro Monat oder Zyklus, was Zweifel weckt, ob das – besonders wenn diese Mittel kombiniert werden – bezahlbar bleibt. Wie bei anderen Tumorerkrankungen greift man beim multiplen Myelom zunehmend auf Biomarker zurück und versucht, die Behandlung der individuellen Risikokonstellation anzupassen; je ungünstiger die prognostische Einstufung ist, umso intensiver (jedoch auch nebenwirkungsreicher) ist die empfohlene Therapie. Das bedeutet immer auch ein Abwägen zwischen einer Behandlung, die rein prognostische Kriterien berücksichtigt, und einer, bei denen der Aspekt der Lebensqualität stärker ins Zentrum rückt. Bei der Mehrheit der Betroffenen kommt aufgrund von Alter und Zusatzdiagnosen nur eine konventionelle Behandlung in Frage. Bei jüngeren Myelomkranken verspricht eine Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzellersatz nach wie vor die besten Aussichten. Bisphosphonate vermindern das Auftreten von Knochenschmerzen sowie Wirbelfrakturen und verlängern eventuell die Überlebenszeit.
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