Der Nettonutzen primärprophylaktisch verabreichter Statine wird überschätzt
- Zusammenfassung: Etzel Gysling
- Kommentar: Etzel Gysling
- infomed screen Jahrgang 23 (2019)
, Nummer 2
Publikationsdatum: 12. März 2019 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Warum diese Studie?
In aktuellen Leitlinien wird der Nutzen von Statinen in der Primärprophylaxe anhand des errechneten 10-Jahres-Risikos eines kardiovaskulären Ereignisses beurteilt. Dabei werden aber mögliche nachteilige Folgen dieser Behandlung vernachlässigt. Für die vorliegende Analyse wurden die Daten verschiedener randomisierter Studien und auch von Beobachtungsstudien hinsichtlich des Risikos unerwünschter Auswirkungen der Statine ausgewertet. Dabei wurde errechnet, wie hoch das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko sein muss, damit eine mindestens 60-prozentige Wahrscheinlichkeit eines Nettonutzens der Statine anzunehmen ist.
Was hat man gefunden?
In Abhängigkeit von Alter und Geschlecht sollte das kardiovaskuläre 10-Jahres-Risiko zwischen 14 und 22% liegen, damit die behandelte Person gute Chancen aufweist, mehr Vor- als Nachteile einer Behandlung mit Statinen zu haben. Bei jüngeren Männern (zwischen 40 und 44) erscheint der Nettonutzen bei einem vergleichsweise kleineren Herz-Kreislaufrisiko (14%) gegeben; für Frauen zwischen 70 und 75 ist dies erst bei einem kardiovaskulären Risiko von 22% der Fall. Atorvastatin (Sortis® u.a.) und Rosuvastatin (Crestor® u.a.) haben im Vergleich mit anderen Statinen schon bei einem etwas kleineren kardiovaskulären Risiko einen Nettonutzen.
Wie wird es gedeutet?
Die Studienverantwortlichen kommen zum Schluss, die in den Leitlinien empfohlenen Risikoschwellen – d.h. ein kardiovaskuläres 10-Jahres-Risiko von 7,5 bis 10% – seien zu niedrig angesetzt. Die Indikation für eine Statinbehandlung sei differenzierter zu beurteilen und in vielen Fällen erst bei deutlich höherem Herz-Kreislauf-Risiko gegeben.
Zusammengefasst von Etzel Gysling
Primärprävention kardiovaskulärer Ereignisse mit Statinen wird in der wissenschaftlichen Literatur und in der Tagespresse kontrovers diskutiert. Dabei gewinnen Risiko-Nutzen-Abwägungen vermehrt an Bedeutung, und ein «shared decision making» ist meist die Grundlage für eine erfolgreiche Langzeitbehandlung. Nebst Besprechung der Lebensstilmassnahmen (Rauchstopp, herzgesunde Ernährung, regelmässige körperliche Aktivität) mögen die Erkenntnisse der vorliegenden Studie ergänzend zum Risikorechner der AGLA in der individuellen Beratung hinsichtlich des Zeitpunkts eines allfälligen Therapiebeginns hilfreich sein. Für die Auswahl eines passenden Statins ist jedoch die Datenlage (bei kaum vorhandenen Studien mit Direktvergleich der einzelnen Präparate) mangelhaft. Aufgrund fehlender Daten bleibt auch das Risiko-Nutzen-Verhältnis einer Statintherapie bei den über 75-jährigen Patientinnen und Patienten weiterhin unklar.
Oliver Baretella und Nicolas Rodondi
Screen-Kommentar
Wenn es um eine präventive Pharmakotherapie geht, sind Überlegungen zum langfristigen Nutzen/Risiko-Verhältnis sehr nützlich. Wir sollten uns aber hüten, unser diesbezügliches Wissen zu überschätzen – viele Zahlen beruhen auf Annahmen, die nicht wirklich gesichert sind. Im Editorial, das diese Publikation begleitet, wird deshalb zu Recht festgestellt, dass die verwendeten Daten zu den unerwünschten Auswirkungen der Statine keineswegs hieb- und stichfest seien. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit bezüglich des Nettonutzens zwischen den Resultaten dieser Studie und den Annahmen der Guidelines. Einig sind sich aber – hoffentlich – alle, dass der Entscheid für eine solche Therapie im Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten gefällt werden muss. Schliesslich gibt es ja eine Reihe nicht-medikamentöser Interventionen, die das kardiovaskuläre Risiko ohne Nachteile verbessern können.
Etzel Gysling
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