Soll man Blutdruckmedikamente immer abends einnehmen?
- Zusammenfassung: Peter Ritzmann
- Kommentar: Markus Diethelm
- infomed screen Jahrgang 23 (2019)
, Nummer 6
Publikationsdatum: 4. Dezember 2019 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Warum diese Studie?
Der «Hygia Chronotherapy Trial» wurde als prospektive, kontrolierte Studie in einem spanischen Forschungsnetzwerk durchgeführt. Die Studienverantwortlichen wollten prüfen, ob die Einnahme der ganzen Tagesdosis eines oder mehrerer Blutdruckmedikamente vor dem Schlafengehen zu besserer Blutdruckkontrolle und zu grösserer Reduktion kardiovaskulärer Risiken führt als die Einnahme am Morgen.
Was hat man gefunden?
19’084 Personen mit Hypertonie wurden nach dem Zufall entweder der Gruppe mit morgendlicher oder mit abendlicher Einnahme der ganzen Tagesdosis zugeteilt. Zu Studienbeginn und danach mindestens einmal jährlich wurde eine ambulante 48-Stunden-Blutdruckmessung durchgeführt. In der letzten dieser Messungen fand man unter den Studienteilnehmenden, die ihre Medikamente abends einnahmen, signifikant tiefere mittlere Blutdruckwerte in der Nacht (nicht aber am Tag), ein stärkeres nächtliches Absinken des Blutdrucks und weniger Personen mit dem risikoreicheren «Non-dipper»-Blutdruckmuster (nächtliches Absinken des systolischen Blutdrucks <10%). Während einer mittleren Beobachtungszeit von 6,3 Jahren trat der kombinierte kardiovaskuläre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, koronare Revaskularisation, Herzinsuffizienz oder Schlaganfall) bei 1‘752 Teilnehmenden ein. Personen aus der Gruppe mit abendlicher Einnahme hatten hierfür ein signifikant kleineres Risiko: Die Hazard Ratio für den kombinierten Endpunkt lag bei ihnen bei 0,55. Auch für die einzelnen Komponenten wurden signifikante Senkungen gefunden: Hazard Ratio für kardiovaskulären Tod 0,44, Herzinfarkt 0,66, koronare Revaskularisation 0,60, Herzinsuffizienz 0,58, Schlaganfall 0,51.
Wie wird es gedeutet?
Die Studienverantwortlichen schliessen, dass die abendliche Einnahme der Blutdruckmedikamente zu einer besseren Blutdruckkontrolle führt und das kardiovaskuläre Risiko markant senkt.
Zusammengefasst von Natalie Marty
Gast-Kommentar
In dieser sehr grossen spanischen Studie führte die abendliche statt morgendliche Einnahme von mindestens einem Antihypertensivum zu einer 45-prozentigen Reduktion des kombinierten kardiovaskulären Endpunktes (Myokardinfarkt, koronare Revaskularisation, Herzinsuffizienz, Schlaganfall, kardiovaskulärer Tod). Über welchen Weg diese Reduktion zu erklären wäre, muss offen bleiben. Die klinisch geringe, statistisch hoch signifikante Blutdrucksenkung (grösster der vielen aufgezählten Blutdruck-Unterschiede: nachts 3,3 mm Hg) kann das in diesem Ausmass nur teilweise. Spielt die ungleiche Verteilung der Antihypertensiva-Klassen (deutlich weniger Betablocker und Diuretika), die grössere Anzahl Dipper, die diskrete Verbesserung des Lipidprofils oder der minim tiefere Kreatininspiegel in der Gruppe mit der abendlichen Einnahme eine Rolle? Der hier postulierte, unerwartete, dramatische Erfolg (in der Grössenordnung einer Blutdruckbehandlung überhaupt) dieser einfachen, kostenlosen und wohl auch fast nebenwirkungsfreien Intervention kann leider nur so kommentiert werden: zu schön, um wahr zu sein. Gegen eine Einnahme der antihypertensiven Medikation am Abend ist – wegen wohl fehlender Nebenwirkungen – nichts einzuwenden, ausser bei einem Diuretikum, das zu nächtlichen Toilettengängen und damit einer vermehrten Sturzgefahr führen könnte.
Markus Diethelm, Klinik für Allgemeine Innere Medizin/Hausarztmedizin, Kantonsspital St. Gallen
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