«Liquid cigarettes» oder nur Schall und Rauch?

  • k -- Mullee A, Romaguera D, Pearson-Stuttard J et al. Association between soft drink consumption and mortality in 10 European countries. JAMA Intern Med. 2019 Sep 3 [Epub ahead of print]. [Link]
  • Zusammenfassung: Natalie Marty
  • Kommentar: Paolo M. Suter
  • infomed screen Jahrgang 24 (2020)
    Publikationsdatum: 1. April 2020
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451'743 Personen aus der fortlaufenden Kohortenstudie «European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition» wurden in diese Untersuchung aufgenommen, um den Zusammenhang zwischen Konsum von Softdrinks und Mortalität zu prüfen. Grösserer Konsum von Erfrischungsgetränken war in der Auswertung mit einer höheren Gesamtmortalität verbunden. Bei täglichem Konsum von künstlich gesüssten Getränken waren Todesfälle durch Kreislauferkrankungen häufiger als bei Personen, die höchstens einmal pro Monat solche Getränke zu sich nahmen; bei zuckerhaltigen Getränken waren Todesfälle durch Verdauungskrankheiten häufiger.

Natalie Marty

Kommentar
Ein Überkonsum von Softdrinks spielt eine wichtige Rolle als zentrale Determinante der Zuckerzufuhr (aber auch der Zufuhr an künstlichen Süssstoffen) – ein Zuviel ist (wie bei allem) für die Gesundheit ungünstig. Die immer noch ungelöste Frage bezüglich Zucker in der Ernährung ist allerdings: Wie viel ist zu viel? In der vorliegenden Studie zeigte sich, dass Softdrinks mit Zucker oder künstlichen Süssstoffen unabhängig vom Körpergewicht mit einer erhöhten Mortalität assoziiert sind. Interessanterweise war die Assoziation der erhöhten Mortalität für künstlich gesüsste Softdrinks ausgeprägter als für zuckerhaltige Drinks. Handelt es sich dabei nur um eine Assoziation oder um eine relevante kausale Beziehung? Die hier beschriebene epidemiologische Konstellation ist nicht neu, wurde in vielen verschiedenen Studien bereits mehrmals beschrieben, und mögliche Mechanismen lassen sich auch finden, die sogar eine kausale Beziehung vermuten liessen.

Leider bringt auch diese Studie keine neuen Aspekte, im Besonderen auch nicht die dringend benötigte Klarheit zu dieser Thematik. Für die meisten wissenschaftlichen Studien, speziell auch Ernährungsstudien, dürfen die Resultate nur in der Gesamtschau mit der verwendeten Methodik interpretiert werden. Diese Studie wurde in diversen Kohorten in 10 verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt; sie unterscheiden sich durch viele verschiedene Lebensstil- und auch kulturelle Faktoren, die alle pathophysiologisch von Bedeutung sein können. Länderspezifische Unterschiede bestanden aber auch in der Methodologie der Erfassung des Konsums der Softdrinks; länderspezifische Instrumente wurden für die Erfassung diverser Parameter entwickelt, und in bestimmten Ländern wie z.B. Italien, Spanien und Schweden wurde der Typ des Getränks gar nicht erfasst. Ebenso wurden in verschiedenen Ländern die verwendeten Instrumente nicht validiert. Bezüglich der Methodologie wirft diese Studie viele Fragen auf. Entsprechend wäre es interessant, die Daten für die einzelnen Länder separat zu sehen.

Aufgrund dieser vielen Unzulänglichkeiten sind die Resultate nur mit Vorsicht zu geniessen und beweisen keinerlei Kausalität. Eine 17-prozentige Erhöhung der Mortalität durch den Konsum von 1-2 Softdrinks pro Tag im Vergleich zu lediglich einem einzigen Softdrink pro Monat würde – sofern dieses Resultat korrekt ist – ein extremes Gesundheitspotential enthalten. Diese «liquid cigarettes», wie Softdrinks auch schon bezeichnet wurden, müssten eigentlich nur noch einem regulierten Konsum unterliegen. Es erscheint fragwürdig, ob so eine doch relativ geringe Menge an Softdrinks (1-2 Drinks pro Tag) eine derartige «pathophysiologische Giftigkeit» haben kann. Wir wissen von unserem Kollegen Theophrastus Bombastus von Hohenheim – bekannt als Paracelsus –, dass nur die Dosis das Gift ausmacht. Wer hätte gedacht, dass Softdrinks bereits in so geringen Zufuhrmengen so toxisch sein können? Ein höherer Konsum von >2 Drinks pro Tag bewirkt allerdings nur eine unmerkliche, inkonsistente weitere Risikosteigerung. Es ist anzunehmen, dass nicht erfasste Lebensstilfaktoren oder auch Umgebungsfaktoren die Resultate in unkontrollierter Art und Weise beeinflusst haben. Man muss sich fragen, ob der Softdrink per se, das Exposom oder Charakteristika der Konsumentinnen und Konsumenten pathophysiologisch wichtiger sind. Leider bringt diese Studie nichts Neues – sicherlich keine Klarheit über «liquid cigarettes» sondern einmal mehr nur «smoke».

Paolo M. Suter 

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infomed-screen 24 -- No. 4
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«Liquid cigarettes» oder nur Schall und Rauch? ( 2020)