Antidepressive Behandlung nach Infarkt bringt wenig

  • r -- Writing Committee For The ENRICHD Investigators. Effects of treating depression and low perceived social support on clinical events after myocardial infarction: The enhancing recovery in coronary heart disease patients (ENRICHD) randomized trial. JAM [Link]
  • Kommentar: Renato L. Galeazzi
  • infomed screen Jahrgang 7 (2003) , Nummer 10
    Publikationsdatum: 1. Oktober 2003
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Studienziele

Wiederholt wurde für Herzkranke ein Zusammenhang zwischen Depression oder ungenügender sozialer Unterstützung und ungünstiger kardialer Prognose aufgezeigt. Bisher konnte aber nicht belegt werden, dass eine antidepressive Therapie die kardiale Prognose verbessern würde. In der aktuellen Studie wurde der Nutzen einer psychosozialen Intervention nach einem akuten Herzinfarkt untersucht.

Methoden

2'481 Personen (44% Frauen) wurden nach einem akuten Herzinfarkt in die Studie aufgenommen. Alle erfüllten die Kriterien einer Depression oder einer «als gering wahrgenommenen sozialen Unterstützung». Nach dem Zufall wurden sie wie üblich behandelt oder innerhalb von 4 Wochen einer Verhaltenstherapie zugeführt. Diese beinhaltete durchschnittlich 11 Einzelsitzungen über 6 Monate. Bei schwererer Depression oder ungenügendem Therapieansprechen wurde zusätzlich Sertralin (Gladem®, Zoloft®) verabreicht. Als primärer Endpunkt wurde der Tod oder ein Infarktrezidiv definiert.

Ergebnisse

In beiden Gruppen besserten sich im Verlauf der Studie die Resultate der psychologischen Tests, in der Interventionsgruppe in den ersten 6 Monaten signifikant stärker als in der Kontrollgruppe. In der Interventionsgruppe wurden etwa doppelt so viele Kranke mit Antidepressiva behandelt (nach 6 Monaten 21% gegenüber 13%). Während der 2,5 Jahre dauernden Beobachtungszeit fand sich aber kein signifikanter Unterschied bezüglich Mortalität (je 14%) oder nicht-tödlichen Herzinfarkten (ebenfalls je 14%). Auch für alle übrigen untersuchten Endpunkte (kardiovaskuläre Mortalität, Revaskularisation, Hospitalisation aus kardiovaskulären Gründen) konnte kein Effekt nachgewiesen werden.

Schlussfolgerungen

Mit der vorliegenden Studie wird belegt, dass nach einem Herzinfarkt und depressivem Zustandsbild eine psychosoziale Intervention zwar den psychischen Zustand der erkrankten Person zu verbessern vermag, daraus jedoch keine Senkung der kardiovaskulären Morbidität bzw. Mortalität resultiert.

Die Resultate dieser ausgezeichnet geplanten und durchgeführten Studie sind enttäuschend und die von den Studienverantwortlichen als positive Resultate gedeuteten Ergebnisse schwierig zu interpretieren. Enttäuschend ist, dass eine intensive, strukturierte psychiatrische und soziale Betreuung keinen Einfluss hatte auf die somatischen Endpunkte «Mortalität» und «kardiovaskuläre Morbidität». Aber auch die mit Skalen geschätzte Depression und die soziale Einbettung besserten sich nur unwesentlich (statistisch zwar signifikant, klinisch wahrscheinlich insignifikant) in der speziell behandelten Gruppe gegenüber der Gruppe «usual care » durch den Hausarzt. Ein Ergebnis, das natürlich vor allem den Grundversorger als wichtige Betreuungsperson beruhigt! Schwierig zu interpretieren ist eine Zweitanalyse der Kranken, welche ein Antidepressivum (meistens einen selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer) erhielten. Diese Kranken aus beiden Gruppen hatten ein etwas besseres Überleben und weniger Herzinfarkte, obwohl die Besserung in der Depressionsskala nicht sehr unterschiedlich war. Zudem soll der Nutzen des Antidepressivums bei Personen, die später als 6 Monate nach dem Herzinfarkt mit der Einnahme begannen, besser gewesen sein (?). Alles in allem eine wenig aussagekräftige Studie, die wenigstens die Arbeit des Hausarztes würdigt, aber wohl keine neuen Erkenntnisse für die psychologische Führung der Postinfarkt-Patienten bringt. Auch der Einsatz von Antidepressiva kann nach dieser Studie nicht generell empfohlen werden.

Renato L. Galeazzi

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Antidepressive Behandlung nach Infarkt bringt wenig ( 2003)