Medikamentenpreise: hoffnungslos?

Wir wissen alle, dass die Preise der Medikamente keinem eindeutigen Gegenwert entsprechen. Sie sind vielmehr das Resultat von entgegengesetzten Anstrengungen, aus einem Produkt maximalen Profit herauszuschlagen bzw. einen Preis sicherzustellen, der die finanziellen Möglichkeiten der Bevölkerung nicht überfordert. Anders wäre es ja nicht möglich, dass Medikamente in verschiedenen Ländern derart unterschiedliche Preise hätten. Und wie allgemein bei Kostenfragen im Gesundheitswesen ist die Zahl der beteiligten «Parteien» hoch und die Partikularinteressen werden vehement verteidigt. In den letzten Jahren haben sich jedoch in diesem Widerstreit einige Bedingungen verändert, was zu fast auswegslos erscheinenden Situationen führen kann.

Ein Beispiel für eine derart unsinnige Entwicklung ist das Schicksal von Patientinnen oder Patienten, die an einer erythropoetischen Protoporphyrie leiden. Diese seltene Erkrankung beruht auf einem angeborenen Stoffwechselfehler und verursacht eine hochgradige Lichtsensibilität mit teilweise intensiven Schmerzen in der exponierten Haut. Seit einigen Jahren existiert ein Medikament – Afamelanotid (Scenesse®) –, das den Betroffenen ermöglicht, schmerzfrei eine etwas längere Sonnenlichtexposition zu tolerieren, was zu einer stark verbesserten Lebensqualität führt.(1) Dieses Medikament ist bisher in der Schweiz nicht offiziell zugelassen; dennoch wurden die Kosten bis zu Anfang 2016 in der Regel aufgrund von Ausnahmebestimmungen von den Krankenkassen übernommen. Die entsprechenden Jahreskosten betrugen 25'000 Franken. Da dann der Hersteller den Preis auf das Dreifache erhöhte, stoppten mehrere Krankenkassen die Kostenübernahme. Dieses Jahr (2017) sollen die Jahreskosten gar auf rund 100'000 Franken ansteigen.

Im März 2017 ist zwar eine Verordnungsrevision in Kraft getreten, die die Kassen zur Übernahme verpflichtet, wenn «die Kosten in einem angemessenen Verhältnis zum therapeutischen Nutzen» stehen. Ob diese Beurteilung jedoch von allen Krankenkassen einheitlich erfolgt, bleibt offen – die einzelnen Kranken sind so gewissermassen der Gnade ihrer Kasse ausgeliefert. Verwerflich ist aber in erster Linie das Verhalten der Hersteller: Selbst wenn ich Verständnis für einen vergleichsweise hohen Preis aufbringen kann, wenn ein Medikament nur bei wenigen Leuten gebraucht wird, bin ich doch der Meinung, hier werde erpresserisch gehandelt. Warum «erpresserisch»? Wenn eine Firma das Monopol auf ein Mittel hat, das wirklich einen Nutzen bringt, weshalb sollte sie nicht einen beliebig hohen Preis festlegen dürfen? Der Grund ist einfach: Individuen sind praktisch nie in der Lage, fortwährend exzessive Kosten zu tragen – sie sind darauf angewiesen, dass die Kosten via Versicherung (d.h. die Krankenkassen) von der Allgemeinheit übernommen werden. Die Allgemeinheit kann und will jedoch die Gesundheitskosten nicht beliebig ansteigen lassen. Anders als bei einem Luxusgut müssen deshalb auch die Hersteller Verantwortung tragen. Ist dies nicht der Fall, so handelt die Firma erpresserisch, moralisch verwerflich, geldgierig, unethisch – you name it.

Gar nicht so viel anders ist die Situation bei den Medikamenten, die bei Personen mit einer fortgeschrittenen Krebskrankheit eingesetzt werden. Dabei geht es meistens darum, jemandem das Leben zu verlängern. Wem steht es zu, diese Möglichkeit zu verweigern – selbst dann, wenn es sich oft im Durchschnitt nur um drei oder vier Monate handelt?(2) Dass so innerhalb von kurzer Zeit enorme Kosten entstehen, beruht auf der Tatsache, dass sich die Preise der in der Onkologie verwendeten Medikamente in den letzten 20 Jahren vervielfacht haben.(3) Es ist durchaus denkbar, dass bald einmal für einen einzigen Krebskranken innert eines Jahres eine halbe Million Franken bezahlt werden müssen.

Über absurde Preissteigerungen wird insbesondere in den USA diskutiert. Dort ist es nicht nur möglich, die Preise ganz «gewöhnlicher», häufig verordneter Medikamente von Jahr zu Jahr um 10% oder noch mehr anzuheben – es hat in den letzten Jahren bei einzelnen Medikamenten richtige Preissprünge gegeben. So ist der Preis des Adrenalin-Autoinjektors Epi-Pen® in den USA innerhalb von sechs Jahren um etwa 400% angestiegen und beträgt jetzt etwa $600 (in der Schweiz kostet ein Epi-Pen® aktuell CHF 76.25).  Gut bekannt wurde auch die Geschichte um Martin Shkreli, der die Rechte für das Antiprotozoenmittel Pyrimethamin (Daraprim®, in der Schweiz erhältlich zu CHF 9.05 für 30 Tabletten) aufkaufte und den US-Preis von $13.50 auf $750 pro Tablette anhob. Es erstaunt niemanden, dass auch Vertreter von Pharmafirmen denken, Shkreli hätte dem Ansehen der Industrie enormen Schaden zugefügt. Dabei demonstriert diese Story lediglich in extremer Weise, wohin ein rein finanzorientierter Ansatz im Pharma-Bereich führen kann.

Das «American College of Physicians» hat sich neuerdings in einem Diskussionsforum mit den Ursachen der hohen Medikamentenpreise befasst..(4) Dabei sind auch Fakten zur Sprache gekommen, die sich nicht nur auf die USA beziehen. Folgende aus der Diskussion resultierenden Empfehlungen sind weitgehend allgemein gültig:

· Die Pharmafirmen sollen ihre tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungskosten offenlegen

· Wenn neue Medikamente dank Industrie-unabhängiger (z.B. universitärer) Forschung entwickelt werden können, soll dies in der Preisbildung transparent berücksichtigt werden

· In vergleichenden Studien sollen Vergleiche aufgrund von «quality-adjusted life years» uneingeschränkt möglich sein

· Der Schutz der Marken- und Datenrechte darf nicht erweitert werden.

Nun darf aber nicht vergessen werden, dass die hohen Medikamentenkosten in der Schweiz nicht nur (oder wohl nicht einmal vorwiegend) neuen Mitteln zuzuschreiben sind. Es sind vielmehr die «üblichen» Mittel, die besonders in der Hausarztpraxis quasi tagtäglich verordnet werden, die sich durch vergleichsweise hohe Preise auszeichnen. Ich habe mich bemüht, für ein paar Mittel die Schweizer Preise mit denjenigen im benachbarten Ausland (Deutschland, Frankreich) zu vergleichen, wobei ich den Vergleich bewusst anhand möglichst identischer Generika (von derselben Firma) vorgenommen habe. Amlodipin, Atorvastatin, Candesartan, Ibuprofen und Tamsulosin – die geprüften Substanzen – kosten in Deutschland oder Frankreich grosso modo 35 bis 70% weniger als in der Schweiz. (Die meisten dieser Arzneimittel sind in Frankreich etwas billiger als in Deutschland, der Unterschied ist jedoch klein.) Ich bin überzeugt, dass man für andere häufig verordnete Medikamente ein sehr ähnliches Resultat erhielte. Nun mag der Unterschied pro Tablette zwar nur einen kleinen Rappenbetrag ausmachen, aber die Menge macht es aus! Ein besonderer Hohn ist dann noch, dass den Krankenkassen verwehrt wird, jemandem die Kosten von im Ausland billiger gekauften Medikamente zu vergüten.

Dass Krebskranke und ihre Angehörigen nicht die Kraft aufbringen, sich gegen die überrissenen Medikamentenpreise zu wehren, ist verständlich. Weniger verständlich ist dagegen, weshalb sich das Gros der vielen, vielen Leute, die täglich Medikamente nehmen müssen, nicht für günstigere Preise einsetzt (und weshalb sich Behörden und Parlament zu dieser Problematik weitgehend taub stellen).

Standpunkte und Meinungen

  • Datum des Beitrags: 19. Mai 2017 (15:50:39)
  • Verfasst von: Dr.med. Elisabeth Minder, Belegärztin für Porphyriesprechstunde (Stadtspital Triemli Zürich)
  • Eine Replik
    Die Replik zu "Medikamentenpreise: hoffnungslos" ist mit der folgenden Adresse erreichbar: http://pkweb.ch/2pSGs6w
Medikamentenpreise: hoffnungslos? (7. April 2017)
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
pharma-kritik, 38/No. 12
PK1013
Untertitel
Verwandte Artikel
Login

Gratisbuch bei einem Neuabo!

Abonnieren Sie jetzt die pharma-kritik und erhalten Sie das Buch «100 wichtige Medikamente» gratis. Im ersten Jahr kostet das Abo nur CHF 70.-.

pharma-kritik abonnieren
Aktueller pharma-kritik-Jahrgang

Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?

Schauen Sie ein Probekapitel unseres Medikamentenführers an. Die Medikamente in unserem Führer wurden sorgfältig ausgesucht und konzentrieren sich auf die geläufigsten Probleme in der Allgemeinmedizin. Die Beschränkung auf 100 Medikamente beruht auf der Überzeugung, dass sich rund 90% aller allgemeinmedizinischen Probleme mit 100 Medikamenten behandeln lassen.

Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.
Passwort beantragen infomed mailings

Medikamentenpreise: hoffnungslos?